piwik no script img

Liebe, Erfolg, Pizza, Literatur,Kunst

■ Wow! Die beste Jahres-Ausstellung an der Hochschule für Bildende Künste seit vielen Jahren

Daß Streitkultur auch positive Ergebnisse zeitigen kann, beweist die diesjährige Jahres-Ausstellung an der HfbK. Die beiden Vorträge von Präsidentin Adrienne Goehler und dem herausragenden, kunsttheoretischen Diskurs von Professor Jochen Hiltmann setzten zur Eröffnung überraschenderweise ein Zeichen, das Niveau des Streits heben zu wollen.

Ob jedoch beide Redner gut beraten waren, durch bloßes Ablesen und Zitieren die Theoriefeindlichkeit noch zu unterstützen? Überzeugungskraft und notwendige Leidenschaft als Beleg emanzipatorischer Subjektivität, lassen sich glaubhaft nicht mit einem „Satre, äh,ich zitiere Satre“, oder dem Versuch, die soziale Notwendigkeit des Lachens durch Zitate aus dem Kölner Karneval und Baudelaire, begründen. Wer so empfindet, hat sich noch nicht beim Missionswerk nordischer Frohsinn eingeschrieben.

Der Humor der Studenten bringt auf differenziertesten Ebenen von Ironie, Selbstironie, Groteske und Neo-dadaistischer Anti-Sinn-Stiftung fast automatistisch zum Lachen. Die Konsequenz aus dem Klima zwischen Machtgeplänkel und Eitelkeit ist schlicht ergreifend: mit eigener Arbeit überzeugen: Selbstbesinnung.

Die Ausstellung begeistert durch undogmatische, variationsreiche Vielfalt. Gerade die jüngeren Semester haben sich erfrischend anarchisch von den Vorstellungen und Forderungen ihrer Lehrer losgesagt, wobei auch die Professoren von alten pädagogischen Konzepten Abstand zu nehmen scheinen.

Die Klasse von Guillaume Bijl präsentiert die Mikro-Messe Neue Functionale. Die Anspielungen auf die Willkür des Kunstmarktes treffen. Wenn jeder ein Künstler ist, ist Malen nach Zahlen Pflicht-Programm. Astrid Herrmanns Kunst-Bausatz-Kästen enthüllen, was nur Insidern bekannt ist: „Blau“ macht berühmt, also ist Yves Klein vertreten. Leider fehlt die Farbrolle, die alles noch lighter macht.

In der Klasse von Stanley Brown überzeugt Kiki Ahlers mit einer Arbeit von über 7.OOO geschlechtslosen Playmobil-Figuren, denen der Betrachter selbstständig standesamtlich ausgewählte Namen und das Geschlecht zuweisen darf. Wahrheit und Identität werden hier ironisch gebrochen problematisiert.

In der Ecker-Klasse überzeugen die poetischen Fotoarbeiten von Stefan Bley, die eine scheinbare Familienidylle der 6Oer und 7Oer Jahre auf den Punkt bringen. Überzeugend auch die Technik, mit der die Vorlagen auf dicken Tischlerplatten wiedergegeben werden.Horror und Harmonie der Szenerie sind klar.

Im Macroland Obertanien zeigen die Studenten von Mike Hentz die Einübung in Sozialverhalten und Kommunikation. Verschiedene Gruppen bauen an einem neuen Land undmüssen sich dabei auf vorherige Vorstellungen der Anderen durch Zerstörung oder Weiterbau. beziehen.

Ganz neue Erkenntnisse brachte Johns Eröffnungsvortrag zur „Kunstwohlfahrts-Maschine“. Der kryptische Index „1,85“ ist abgeleitet aus Überlegungen zu Funktion und Verhältnis von Kopfddrehung und Lebensstandard zur Kunstwohlfahrt — fünf Drehungen: Kunst, drei: Pizza, eine: Liebe.

Dem ist eigentlich kaum noch etwashinzuzufügen,,wären da nicht die Kästen von Bendix Harms aus der Büttner-Klasse. Die Objekte spielen mit dem alltäglichen Sprachgebrauch und dem ganz normalen Wahnsinn. Lassen wir einige Titel für sich selbst sprechen: „Kein Mörtel, keine Heimat“, „Übelnehmen gilt nicht“ und „Schopenhauer ist Schopenhauer“: Aufforderung zum legitimen Vergleich der Sache mit sich selbst, Eier mit Eiern, und nicht Äpfel mit Apfelsinen. Stimmt.

Gunnar F. Gerlach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen