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"Multikultur ist wie Flamenco"

■ Interview mit dem bei Heidelberg lebenden syrischen Schriftsteller und Erzähler Rafik Schami / In seinen Märchen zählt der Mensch, nicht der erhobene Zeigefinger

taz: Rostock, Hoyerswerda, Hünxe, Mölln und nun Solingen. Bleiben einem Schriftsteller nach dieser Kette von tödlicher Gewalt noch genug Worte, um anzuklagen, zu erkennen, zu analysieren oder gar um moderne Märchen zu erzählen, wie Sie es tun?

Schami: Natürlich ist es oft sehr schmerzhaft. In der Nacht, als die wunderbaren Menschen verbrannten, konnte ich nicht schlafen. Aber für mich ist Erzählen gleich Lieben. Meine persönliche Methapher lautet: Solange wir leben, sollen wir weiter erzählen, noch radikaler mit dem Wort in der Öffentlichkeit auftreten und uns nicht einschüchtern lassen. Denn die Verstummung gerade unserer Stimmen hier in der Bundesrepublik Deutschland ist eines der Ziele der barbarischen Morde.

Märchen haben trotz ihrer manchmal sehr belehrenden Inhalte unbestritten eine positive Wirkung. Können Märchen diese Realität noch verkraften?

Ich glaube in meinem Fall schon, weil ich mich in keinem meiner Märchen zu einem positiven Ende verpflichte. In diesem Sinne können Märchen das, was heute geschieht, nicht nur verkraften, sondern mit Traum- und Alptraumbildern vertiefen. Literatur kann solche Dinge auch in den realistischen Formen – von der Satire bis zum Roman – weiterverarbeiten. Das Problem politisch lösen kann Literatur nicht.

Aber sie ist in der Lage, zu beeinflussen ...

... man sollte hoffen, daß sie eher durch die Bewegung der Gefühle, durch Mitreißen, beeinflußt. Ich glaube nicht, daß sie durch Lösungsvorschläge in die Realität eingreifen kann. Da wäre die Literatur schlecht geraten. Wenn sie anfängt, Vorschläge zu machen, kommen wir wieder in die sogenannte realsozialistische Literatur, die letzten Endes wegen ihrer Naivität gescheitert ist.

Gibt es in diesen schwierigen Zeiten überhaupt noch Ziele für „Reisende im Geist“, wie Sie sich selbst charakterisiert haben?

Mit Ausnahmen von Augenblicken der Verzweiflung, ja. In diesen Momenten frage ich mich schon, wie lange man das noch ertragen kann. Da ich aus einer historischen Minderheit stamme – ich komme aus einer christlich-aramäischen Minderheit aus dem Orient –, habe ich gelernt, daß wir als Minderheit damit beauftragt sind, der etwas trägen Mehrheit ein Angebot zu machen. Besonders in „Krisenzeiten“. Ein Angebot der Menschlichkeit, des Zusammenlebens, der Alternative. Man kann es auch Utopie nennen. Ich bin nicht der Meinung, daß die Utopien alle gestorben sind. Das ist doch Quatsch. Und daher würde ich immer weiter erzählen. Solche Reisen, solche Wagnisse, Leuten Alternativen des Zusammenlebens aufzuzeigen, ihnen andere Möglichkeiten zu präsentieren, sind von enormer Wichtigkeit. Literatur ist dazu gewiß ein gutes Mittel.

Tut es Ihnen weh, wenn man in Ihrem Zusammenhang oder wenn allgemein bei Ausländern, die hier leben und schreiben, von „Gastarbeiter-Literatur“ gesprochen wird?

Weh nicht. Ich empfinde diesen Begriff als ein durchaus akzeptables Hilfsmittel, ein Vehikel. Trotzdem zeigt es mir, daß diejenigen, die ihn noch so formulieren, wenig informiert sind und mit ihrem Wissen ziemlich stark zurückliegen. Heute hat sich diese Literatur differenziert. Wir haben jede Menge selbständige Autorinnen und Autoren, die sich auch auf der Weltebene sehen lassen können, ob das Italiener, Türken, Griechen, Araber oder Spanier sind. Meine Arbeiten sind zum Beispiel in 15 Sprachen veröffentlicht worden. Wenn das für manche Kritiker Gastarbeiterliteratur, also die Literatur der Fremden in einem Land ist, dann muß ich das akzeptieren.

Sind „Gastarbeiter-Autoren“ nicht so etwas wie gern gepflegte Exoten im Literaturbetrieb? Man hat oft doch das Gefühl, daß hinter der Bereitschaft vieler Verlage, sogenannte Gastarbeiterliteratur ins Programm zu nehmen, nicht immer Einsicht in die Problematik der Einwanderung und des Ausländerdaseins steckt.

Wenn Sie erlauben, kann ich das als das allerallerschlechteste Märchen, was ich je gehört habe, bezeichnen. Das Argument wird uns sehr oft vorgehalten. Ich glaube, Verleger sind erst einmal Händler, die rechnen. Diese Exotik, dieser Mitleid-Bonus zählen vielleicht für die ersten fünf Minuten. Später muß sich das Werk beweisen. Danach muß sich der Text stellen und klarmachen, daß er etwas zu sagen hat. Alles andere gilt für mich nicht. Andererseits ist es unser Fehler, wenn wir dieses Spielchen mitmachen, wenn wir dauernd Literatur liefern, die wie der Bericht des Sozialamtes ausschaut, angereichert mit zuviel Tränen und allerlei Larmoyanz. In der deutschen Literatur gibt es genug Schrott. Ist das ein Grund, die deutsche Literatur als solche abzuerkennen? Wir schreiben als „Gastarbeiterliteraten“ genug Schrott. Das ist aber lange kein Grund, die Perlen unserer Arbeit zu ignorieren.

Ist man denn als „schreibender Ausländer“ nicht auch Gefangener liebgewordener Illusionen, die die Wirklichkeit in der Fremde verschönern sollen, obwohl es im eigenen Alltag von subtilen Rassismen nur so wimmelt?

Wissen Sie, das ist eine wunderschöne Sache, die Sie da ansprechen. Was bleibt einem mehr als Illusionen? ist meine Antwort. Ich bitte Sie. Warum soll man die Heimat, aus der man rausgeschmissen wurde, nicht zur Idylle machen? Ich kann Ihnen Damaskus, meine Geburtsstadt, in den schönsten Farben beschreiben, wenn Sie wollen. Die schillerndsten Farben haben diese Zweimillionenstadt und das Dorf meiner Eltern. Warum soll man nicht auch noch hier immer nach einer Enttäuschung sofort die nächste Utopie aufbauen? Es dient dem seelischen Gleichgewicht. Einen verständlicheren menschlichen Fehler gibt es glaube ich nicht. Dem, was Sie in Ihrer Frage gesagt haben, ist also fast nichts hinzuzufügen.

Was bedeutet für Sie Multikultur? Wo sehen Sie Brücken, die Kulturen verbinden?

Multikultur ist eine permanente menschliche Herausforderung. Jedem Künstler, aber auch jedem Menschen ist sie gestellt. Die starke Bindung zur Nachbarschaft, die starke Bindung zu den anderen Menschen im Viertel, die Erzählkultur, die sind hier fast tot. Ich trete auf und erzähle frei. Dabei belebe ich etwas, was hier längst gewesen war. Es wäre schön, wenn wir es bewerkstelligen könnten, daß die Stärken vom Norden und die Stärken vom Süden in einer Synthese aufgehen könnten und in Einklang gebracht würden. Multikultur ist im Idealfall wie das Bild des Flamenco-Tanzes. Der Flamenco entstand in Südspanien als Frucht der Verschmelzung zwischen alten Sinti- und Roma-Völkern, Arabern, Juden und Andalusiern. Ein solches, neues Produkt war vor ein paar hundert Jahren nirgendwo anders auf der Welt möglich. Interview: Franco Foraci

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