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Toleranter als du

■ Der 2. Karikaturensommer in der Cartoonfabrik Köpenick bezieht mit seinem aktuellen Motto "Toleranz" Stellung

Als vor knapp 20 Jahren in Jule Hammers „Kartoon-Galerie“ im Europa-Center die erste bedeutende internationale Cartoon- Ausstellung Berlins stattfand, konnte sich die Ausstellung nicht zur festen, wiederkehrenden Institution weiterentwickeln. Finanzielle Probleme führten dazu, daß schon die dritte Ausstellung bei Möbel-Hübner stattfinden mußte. Ein ziemlich schlechter Witz: Die Karikaturen, aufgehängt zwischen gutbürgerlichen Schrankwänden und Cordsamt-Garnituren, argwöhnisch betrachtet vom Ehepaar Schulze, welches auf der Suche nach einem Paar orangelederner Stehlampen war...

Im letzten Sommer startete die Cartoonfabrik Köpenick e.V. mit ihrer ersten Ausstellung „Geld“ einen neuen, erfolgversprechenden Versuch, internationale Karikaturen und Cartoons in Berlin zu etablieren. Und seit vorigem Freitag hat im Rathaus Köpenick das „2. Internationale Karikaturenfestival“ geöffnet.

Die Ausstellung, für die Charlotte von Mahlsdorf die Schirmherrschaft übernommen hat, steht in diesem Jahr unter dem Motto „Toleranz“. Als sich im letzten Herbst die 22 Mitglieder der Cartoonfabrik zur Themenfindung zusammensetzten, standen sie noch unter dem Eindruck der Morde von Mölln. „Vor dem Hintergrund eskalierender Ausländerfeindlichkeit in Deutschland wollten wir auch mit dem Medium der Karikatur Stellung beziehen“, sagt Wolfgang Kleinert, Geschäftsführer der Cartoonfabrik. „Um die Zeichner thematisch nicht zu sehr einzuengen, haben wir den Wettbewerb unter dem umfassenderen Begriff der Toleranz ausgeschrieben.“

Allerdings ist es nicht immer ganz einfach, die Exponate diesem Thema zuzuordnen. Gerade bei den etablierten Künstlern – etwa Lenz, Greser, Rattelschneck und anderen erprobten Titanic-Zeichnern – blieb das Motto manchmal zugunsten der Pointe auf der Strecke. Die Cartoonfabrik zeigt sich in dieser Hinsicht tolerant, der Ausstellung schadet das nicht.

Erstaunlich ist auf jeden Fall die Resonanz von 250 KünstlerInnen aus 26 Ländern. Dafür, daß die Cartoonfabrik Köpenick erst seit anderthalb Jahren existiert und gerade mal ihren zweiten Karikaturensommer durchführt, ist das Teilnehmerfeld mit F.W. Bernstein, Jürgen Egner Burkhard Fritsche, Hurzlmeier, Jorgo, Ernst Kahl, Marunde, Til Mette, Bernd Pfarr, Rauschenbach, Michael Sowa und Freimut Wössner (um nur einige anzuführen) überraschend hochkarätig besetzt. Kaum jemand fehlt, der in den alten Bundesländern Rang und Namen hat in der Branche. Dazu kommt der Stamm der Eulenspiegel-Zeichner, etwa Bofinger, Büttner und Muzeniek, und damit ein Großteil der Karikaturisten aus Ostdeutschland. Allerdings scheint es im Osten Berührungsängste zwischen den etablierten Künstlern und der jüngsten Zeichnergeneration zu geben, denn Namen wie Fickelscherer oder Ol. Schwarzbach (!) sucht man vergebens. Die dennoch sehr gute Besetzung kommt nicht von ungefähr: Wolfgang Kleinert war bis vor zwei Jahren als Redakteur der Satirezeitschrift Eulenspiegel für Karikaturen zuständig und hat es bestens verstanden, seine Kontakte zu pflegen und auszubauen. Auszubauen nicht nur im Westen, sondern auch nach Osten. Tschechische, russische, bulgarische und rumänische Namen unter den Exponaten zeugen davon. Engländer, Belgier und Niederländer bringen angelsächsische und westeuropäische Karikaturentradition mit ein, und selbst aus dem Iran kamen Zusendungen – trotz der nicht ganz korrekten Anschrift „Cartoonfabrik Hauptmann von Köpenick alias Schuster Voigt“. Damit dürfte der Köpenicker Karikaturensommer neben der (rein deutschen) Karikatura in Kassel mit die bedeutendste Ausstellung dieser Art in Deutschland sein. Satire und Karikatur haben neben der Galerie am Chamissoplatz in Berlin ein zweites Forum gefunden. Martin Sonneborn

Die Ausstellung läuft noch bis zum 15. August, Mo.–So. 10 bis 18 Uhr im Rathaus Köpenick, O-1170 Berlin, Alt-Köpenick 21. Katalog im Lappan-Verlag, 24,80 DM.

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