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Gute Menschen – gute Fotos

„Vivid – Intense Images“: Zeitgenössische Fotografie aus Amerika in der Raab-Galerie  ■ Von Harald Fricke

Wenn ein Unterschied zwischen amerikanischer und europäischer Fotografie festzumachen ist, dann mit Sicherheit in der gegensätzlichen Herangehensweise, im musischen versus malerischen Umgang mit Bildern. Während ein Larry Clark oder Richard Prince mit dem Foto Menschen und Gegenstände innerhalb ihres Mediums neu zu erfinden scheinen, hat sich eine Vielzahl an europäischen KünstlerInnen mit den referentiellen Verhältnissen von Foto und Leinwand beschäftigt.

Um im Berliner Rahmen zu bleiben: Florian Merkels inszenierte und nachkolorierte Fotografien brechen die Perspektive in der Mehrfachcollage auf, Thomas Florschütz setzt mit krassen Farbkontrasten auf die Polarität zwischen Formen und ihrer in der Repräsentation verschobenen Bedeutung. In den neueren, politically correct geführten Debatten haben sich aus diesem Ansatz scheinbar klare Abgrenzungen und vermeintliche Gefechtsstationen ergeben – entweder man nimmt die Kamera als Ästhet in die Hand oder um Politik mit anderen Mitteln fortzusetzen.

Aber selbst eine Splatter-Pornos inszenierende Puppenspielerin wie Cindy Sherman macht noch keinen zweiten Mai. Auch in der Ausstellung neuerer investigativer Fotografien, die laut Auswahl mehrheitlich von Fotografinnen hergestellt werden, findet sich kein fortgeschrittenes politisches Handlungsbedürfnis, sondern ein eher feines Gespür für Witz, Schock, Realität und Sensibeleien im fernen Theoriebereich. Die Bilder entstehen nicht als, nur unter den Bedingungen von Politik. Manchmal hat man den Eindruck, als läge die Spannung in der aufklärerischen Abgeklärtheit des fotografischen Blicks: Selbst die gelackte Präsentation kann den Genuß nur steigern, wenn man zum Bild einer Leiche das merkantile Ambiente, den teuren Edelholz-Rahmen und die streng limitierte Edition in Fünfer Auflage mit garantierter Wertsteigerung berücksichtigt.

Bei Sandy Skoglund treffen all diese Präventiv-Konventionen von Kultur und Gesellschaft auf ihr überzeichnetes Spiegelbild: In hyperrealistischen Genre-Szenen wie der „Cocktail Party“ erscheinen diese Tischmanieren und Gepflogenheiten als rein formales Ereignis, das über jede individuelle Haltung dominiert. Menschengruppen werden mit überdimensionalen Kartoffelflips künstlich überzogen, weil das gelborange Gewürm grafisch gut zum Interieur paßt und sich im Farbenzirkel besonders klar von den violetten Hemden der Partygäste abhebt. Dazu sind einige starre Schaufensterpuppen wie Anspielungen auf charakteristische Figuren aus dem George- Segal-Fundus drapiert worden, um den durchkomponierten Kunstkontext noch stärker ins Paradoxe zu treiben.

Anders als die ihr direkt zur Seite gehängten Spontanpersonalien, mit denen Nan Goldin in den achtziger Jahren Transvestiten eindringlich flüchtig festgehalten hat, bildet Skoglund Personen nicht ab, um sie über das Medium zu sich selbst in Beziehung treten zu lassen, sondern um ihre Ursprungsidentität in der Übersteigerung auszulöschen. Irgendwann sieht man vor lauter buntem Pop-Dekor nichts anderes mehr als abstrakte, stillgestellt wabernde Dialektik von Subjekt/Objektverhältnissen, die sich ständig umkehren. Dann verwandeln sich auch auf „Gathering Paradise“ mit der Zeit die putzigen blauen Erdhörnchen, die um eine rosa Blockhütte tollen, in ein Bild des Schreckens wie einst der Wellensittich in Hitchcocks „Vögel“ in Anlehnung an seine großen Brüder und Schwestern. Genau dieser Eindruck spiegelt sich wiederum im Hintergrund des Bildes auf den angeekelten und ängstlichen Gesichtern des alten Ehepaares in der Hütte wider.

Auf dem Wege der situation trouvée gelingt es auch Yvonne Cohen, an der Echtheit noch der Objektivation zu kratzen. Auf „Laboratory“, einer tafelbildgroßen Schwarzweiß-Fotografie mit feiner Titelschrift am unteren Teil der weißen Passepartout-Umrandung, ist eine stille Szene aus dem Forschungslabor nachgestellt/ vorgefunden: Dummies, die auf den nächsten Carcrashtest warten. Das alte Spiel mit dem Putto als Mensch und Maschine. Doch viel stärker interessiert sich Cohen für die Rahmenbedingungen, in denen das Objekt „Dummy“ zum Handlungsträger wird. Es sind die umgebenden Meßgeräte und technischen Apparaturen, durch die sich das leblose Stück Kunststoff mit seinen grob skizzierten Gesichtszügen zum allegorischen Wesen verwandelt (und die wunderbar eleganten Lackschuhe, die den Plastekameraden an die ungelenk baumelnden Beine geheftet worden sind).

Genau diese Details rücken Jeanne Dunning und Andres Serrano in den Bildmittelpunkt und zentrieren damit jedes Foto formal und inhaltlich in schockhaften Momentaufnahmen, auf denen sich allerfeinster Minimal-Horror als reduziert gebündelte Intensität darstellt. Serrano zeigt den Lauf eines „Colt D.A. 45“, in den der Betrachter durchs Makroobjektiv blickt, Dunning liefert mit ihren „Untitled Holes“ bis zur Unschärfe herangeholte und vergrößerte, fleischigrote Einschußlöcher, das Positiv der zunächst kühlen Gewaltphantasie, die sich klammheimlich imaginierend entlädt. Insofern kann man die sublime Ästhetik, in der sich beide KünstlerInnen ergehen, sowohl als Gegenstück und Ergänzung zu den aufgehitzten Benetton-Werbefotos von Toscani ansehen. Auf Foto festgehalten besitzt jedes noch so grausame Bild eine tief zufriedene formlose Leere, die dem Ausdruckslosen bei Walter Benjamin nahekommt: „The Morgue (Death by Fire II)“ von Andres Serrano zeigt eine bis zur völligen Entstellung verbrannte Leiche im Nahbereich so faszinierend nuancenreich verkohlt, als hätte der Fotograf sie zum Vexierspiel mit der Natur in den rötlich-braunen Farben von Carrara-Marmor angemalt.

In der Kluft zwischen beschreibender Darstellung und naturgetreu abgebildeter Wirklichkeit haben die ausgestellten FotografInnen eine Ansatzfläche gefunden, auf der die Repräsentation selbst zum formalen Aspekt wird. Die Miteinbeziehung dieser bislang nur akademisch vorgeführten Kriterien ins Bild macht aber selbst aus den noch so gestelltesten Images reihenweise Parallelrealitäten, deren „Lebendigkeit“, die der Ausstellungstitel verheißt, in der strukturellen Ähnlichkeit zum lebensechten Foto liegt.

Dann ist der Unterleib auf Lorna Simpsons dreiteiliger Arbeit „Lower Region“ nicht bloß eine konstruierte feministische Einschreibungsfläche, sondern ebenso sinnlicher Blickfang, und „Vision of a young Man“ von Sarah Charlesworth zu gleichen Teilen eine Auseinandersetzung mit Renaissancemalerei, männlichem Geniekult am Beispiel Leonardo da Vinci und Modell für eine babyblaue, monochrome Fototapete mit Kunstdekor.

„Vivid – Intense Images by American Photographers“, bis zum 31.7. in der Raab Galerie, Potsdamer Straße 58, Mo–Fr 10–18 Uhr, Sa 10–14 Uhr; Ausstellungskatalog: 30.–DM

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