: „Wo sind diese Menschen ohne Herz?“
In einer oberpfälzischen Kleinstadt brodelt die Gerüchteküche drei Wochen nach einem Brandanschlag auf die Wohnung eines türkischen Ehepaars / Kinder überlebten nur durch Zufall ■ Aus Erbendorf Bernd Siegler
Herrliche Wälder, bizarre Felsformationen, saftige Wiesen und deftige Mahlzeiten, dazu das selbstgebraute „Zoigl“-Bier und der Kräuterschnaps – der Steinwald in der Oberpfalz lockt Sommer wie Winter Tausende von Erholungssuchenden an. Die 5.000-Einwohner-Stadt Erbendorf liegt auf der Höhe eines Steinwald- Hügels. Eine Kastanienallee hinauf, vorbei am Kriegerdenkmal („Unsern gefallenen Helden“), links und rechts einstöckige Häuser mit Geranienschmuck, geht es zur Ortsmitte – und am höchsten Punkt, die katholische Kirche. Eine Gegend, in der die Heilige Messe auch werktags gut gefüllt ist und in der an der einzigen Ampel im Ort bei Rot auch dann eisern stehengeblieben wird, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. „Ein riesiger naturbelassener Märchengarten, in dem uns der herbe Duft wilder Kräuter genauso umfängt wie die herzliche Gastfreundschaft der Einheimischen“, verspricht der Verkehrsverein.
In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni war es mit der „herzlichen Gastfreundschaft“ vorbei. Um 2.23 Uhr wurde der 29jährige Türke Mehmet Güdük durch das Klirren von Glas geweckt. Sekunden später sah er nur noch Qualm. Ein bislang Unbekannter hatte ein Molotow-Cocktail ins Kinderzimmer der Hochparterre-Wohnung in der Kemnather Straße geworfen. Nur der Tatsache, daß Mehmet und seine Frau Naciye ihre beiden Kinder Hassan (4) und Jale (5) nach wochenlangen Drohanrufen vorsorglich nicht mehr im Kinderzimmer, sondern im elterlichen Schlafzimmer schlafen ließen, ist es zu verdanken, daß das idyllische Erbendorf heute nicht in einem Atemzug mit Mölln und Solingen genannt werden wird.
„Für mich ist in dieser Nacht eine Welt zusammengebrochen“, schildert Erbendorfs Bürgermeister Rudi Trastl seine Befindlichkeit. Steif sitzt der 60jährige in seinem schmucklosen Amtszimmer aus Buchenholzmöbeln. Trastl, parteilos, aber von der SPD nominiert, befürchtet jetzt Einbußen im Tourismusgeschäft. 50.000 Übernachtungen im Jahr füllten bislang die Kassen. „Erbendorf war ein Musterbeispiel für das harmonische Zusammenleben von Deutschen und Türken“, betont er. „Ich glaube nicht, daß das ein Erbendorfer war.“
Dem widerspricht der evangelische Pfarrer Klaus Rettig energisch: „Wir sind keine Insel der Seligen.“ Er initiierte einen Schweigemarsch kurz nach dem Brand. 600 nahmen daran teil, Deutsche und Türken reichten sich demonstrativ die Hand. „Es hätten mehr sein können“, wirft seine Frau Claudia, gleichzeitig Kreisrätin für die Grünen, ein. „Mit dem Brand brach die heile Welt hier in sich zusammen“, meint die 40jährige Pfarrersfrau. Es habe in Erbendorf kein Miteinander gegeben, sondern nur ein „friedliches Nebeneinander“. Für Pfarrer Rettig steht künftig nicht so sehr die Frage nach dem Täter im Vordergrund: „Wichtig ist es, den Nährboden auszutrocknen.“
Und der fängt gleich im Nebenzimmer von Bürgermeister Trastl an. Dort sitzt der Chef der Gemeindeverwaltung, Adolf Kreuzer (54). „Was kann eine Gemeinde dafür, wenn irgendein Querkopf so etwas tut“, bringt er mit gepreßter Stimme hervor und spielt nervös mit seinem Dienstlineal. „Wenn es ein Ortsansässiger war, dann hätte ihn die Kripo doch längst erwischt“, ist der Amtsrat überzeugt. „Wir haben hier seit 30 Jahren Türken in der Stadt, die Güdüks kamen erst vor fünf Monaten, zogen gleich in einen Neubau und schon brennt es.“ Kreuzer lehnt sich in seinen Stuhl zurück und lächelt. Er hat genug gesagt. Noch nicht ganz. „Wenn's wirklich von deutscher Seite käme, würde ich mich schämen“, fügt er noch schnell hinzu.
Die Gerüchteküche in Erbendorf brodelt drei Wochen nach dem Anschlag. „Den Türken traue ich alles zu, die haben doch Schulden gehabt“, kommentiert eine Frau mit Kinderwagen das Geschehen. „Warum haben denn ausgerechnet in jener Nacht die Kinder nicht im Zimmer geschlafen“, argwöhnt sie. „Komisch ist schon, daß man die Glasscherben außen und nicht innen gefunden hat“, weiß die Inhaberin des Zeitschriftenladens in der Bräugasse. Und ein Rentner, der auf der Bank sitzend den Durchgangsverkehr an sich vorüberrauschen läßt, ist überzeugt: „Die Türken waren das, die haben doch schon den einen festgenommen.“ Von den Türken gäbe es sowieso zu viele, „800 allein hier bei uns in Erbendorf.“
Ganze 273 AusländerInnen zählt in Wahrheit die amtliche Statistik. Bei insgesamt 5.275 Einwohnern entspricht das einem Anteil von knapp über fünf Prozent. Insgesamt wohnen 165 TürkInnen in Erbendorf, die Mehrzahl von ihnen schon seit über 25 Jahren. 1963 kamen die ersten, angeworben von der Porzellanfabrik Seltmann, die mit 600 Arbeitsplätzen den Hauptarbeitgeber im Ort stellt.
Während sich die Stammtische im „staatlich anerkannten Erholungsort“ einig sind, tappt die Polizei im Dunkeln. Josef Seebauer, Pressesprecher der Kripo Weiden, kann noch „keine verwertbare Spur“ vermelden – trotz der 10.000 DM Belohnung, ausgesetzt vom Innenministerium. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, betont Seebauer. Die rechtsextreme Szene im benachbarten Oberfranken werde genauso durchleuchtet wie das Umfeld der Güdüks. Nichts deute auf eine Täterschaft von Güdük selbst hin. „Jeder Tag länger ist kritisch“, macht Seebauer wenig Hoffnung auf eine Ergreifung des Täters.
Während Bürgermeister Trastl immer wieder betont, in Erbendorf gebe es „keinen Ausländerhaß“, weitet Kripo-Sprecher Seebauer diese Aussage gleich auf den gesamten Bereich seiner Direktion aus. So, als hätte es nicht vor zwei Jahren im nahen Brand bereits zwei Anschläge auf ein Flüchtlingsheim gegeben, so als wären in Weiden nicht dieses Frühjahr fünf chinesische Asylbewerber verprügelt worden, als hätte nicht eine Woche nach Mölln in Marktredwitz ein Neonazi einem Türken ein Messer in den Leib gerammt und so, als hätte es vorher in Erbendorf keine Drohanrufe gegeben.
Schon kurz nach Mölln erhielt die 52jährige Türkin Asiye P. Drohanrufe. Die Arbeiterin, die seit 25 Jahren bei Seltmann Schicht arbeitet, wohnt in Erbendorf in einer kleinen Wohnung unter dem Dach. Vor zwei Jahren starb ihr Mann, drei Jahre will sie noch hierbleiben. Angst hat sie auch nach dem Brand in der Kemnather Straße keine. „Warum, hier leben neun deutsche Familien im Haus.“
„Angst?“ „Nein, wieso Angst, hier gibt es keine Probleme.“ Eine klare Feststellung sollte man meinen, getroffen von einem 55jährigen Türken, der nach der Seltmann-Frühschicht mit einem Landsmann am Straßenrand auf einer Bank sitzt und ein paar Sonnenstrahlen genießt. Er sei jetzt 26 Jahre hier, „Erbendorf ist gut“. Der Mann, der betont, keine Angst zu haben, fürchtet sich aber, seinen Namen zu nennen. Er schreibt auf den Notizblock 'C. T.‘ und fügt hinzu: „Das genügt.“ Im Aufstehen erzählt er noch schnell, daß kurz vor dem Brand eine Gruppe junger Deutscher durch Erbendorf gegangen wäre, und sich erkundigt hätte, in welchen Häusern Türken wohnen. „Aber das habe ich bereits der Polizei erzählt...“
Mesut L. aus Bursa hat Angst. Er wohnt zusammen mit 22 anderen türkischen Familien in den beiden Häusern im Rohrmühlenweg, die die Firma Seltmann eigens für ihre ausländischen ArbeiterInnen hat errichten lassen. Seit 17 Jahren arbeitet Mesut Schicht bei Seltmann. „Ich schlafe wie ein Fuchs, ein Auge und ein Ohr ist immer offen“, berichtet der 33jährige. Bei jedem Auto, das in die abgelegene Straße einbiegt, fährt er hoch und geht ans Fenster. Meist sieht er dann nur den Polizeiwagen, der seit drei Wochen verstärkt Streife fährt. Seltmann hat nach dem Brand Strahler mit Bewegungsmeldern ringsum die Wohnhäuser einbauen lassen, der werkseigene Wachdienst hat die Häuser in seinen Rundgang mit aufgenommen. Mesut beruhigt das wenig. Wenn er Nachtschicht hat, sind seine Gedanken „immer zu Hause“.
Vorher, das betont auch Mesut, habe es in Erbendorf keine Probleme gegeben. Er und seine Landsleute konnten wie die Einheimischen im Laden „anschreiben lassen“, wenn sie mal zuwenig Geld zum Einkaufen dabei hatten. Jetzt ist Mißtrauen dem Vertrauen gewichen. Den einzigen Ausweg sieht Mesut in einem kommunalen Wahlrecht für Ausländer. „Das würde viel ändern“, ist er überzeugt – und mit Bürgermeister Trastl einig. Nicht nur, daß dann die Ausländer mehr eingebunden würden, argumentiert Trastl, die Kommunalpolitiker müßten sich auch mehr um die Ausländer kümmern und bemühen, „denn sie sind ja dann Wähler“.
Mehmet und Naciye Güdük und ihre Kinder sind nach dem Brandanschlag auf ihre Wohnung zu den Schwiegereltern ins 13 Kilometer entfernte Pressath gezogen. Dort wohnen sie auf beengtem Raum in einem alten Haus. Die Nässe zieht die Tapeten von den Wänden. Nur drei Zimmer sind bewohnbar – immerhin. „Vor Erbendorf haben wir ein bißchen Angst“, erklären beide.
Schon Wochen vor dem Brand erhielten die Güdüks regelmäßig Drohanrufe. Am 6. Juni fanden sie an ihrem Badezimmerfenster einen von außen hingeklebten Ausriß aus der BILD-Zeitung. Das Aufmacherfoto zeigte die Leiche eines türkischen Kindes, eines Brandopfers von Solingen. Mehmet Güdük ging zur Polizei, zu seinem Vermieter und zum Hausmeister. Noch am Abend vor dem Anschlag gingen Hausbesitzer Georg Rembeck („Ich kann es immer noch nicht fassen.“) und Hausmeister Lutz Szillat („Als ich geweckt wurde, wußte ich sofort, was los ist.“) um das Haus herum. Sie wollten prüfen, wie man am besten Rolläden an den Fenstern der Güdüks als Schutz vor möglichen Anschlägen anbringen könnte. Zu spät. Am Tattag kamen noch zwei anonyme Anrufe („Türken raus“), dann brannte es.
Mehmet Güdük wechselt sich jetzt mit seinem Schwiegervater bei der täglichen Nachtwache ab. „Ich hoffe und bete bei Gott, daß die Täter erwischt werden“, betont Naciye, denn „wer weiß, wo diese Menschen sind, die ohne Herz sind“. Der Fernseher ist der Mittelpunkt ihres Zimmers in Pressath, ein Bild über der Tür zeigt die Hagia Sophia Moschee in Istanbul und vermittelt einen Hauch von Heimat. Noch immer trägt Mehmet an den Fingerknöcheln Pflaster. Er hat sich die Hand verletzt, als er ein Fenster eingeschlagen hat, um vor dem Feuer nach draußen fliehen zu können. Auch drei Wochen danach können die Güdüks kaum einen klaren Gedanken fassen. Nur eines steht für sie fest: „Wir bleiben auf jeden Fall in Deutschland, solange bis wir in Rente sind. Menschen, die so etwas machen, sollen keinen Erfolg haben.“
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