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: Verschlußsache

„Filmton-Tonfilm“, Mo., 22.30 Uhr, Hessen 3

Die Ohren sind jene Sinnesorgane, die man nicht willentlich verschließen kann. Die Augen dagegen verschließen sich vor dem Unerwarteten, Häßlichen, Grausamen. Was bleibt, ist der diffuse, nicht wiederzugebende Eindruck, den das Geräusch in das Hirn des Zuschauers fräst: Der Ton, der ab Ende der zwanziger Jahre zum Film hinzukam, war wie ein Schock. Das einzige, was man als interessierter Laie auf diesem Gebiet kennt, sind die Pamphlete gegen den Tonfilm.

Im Gespräch mit französischen Tonfilmpionieren und Kritikern rekonstruieren Michael Esser und Thomas Schunke die Geschichte des Zelluloidtons. Neben einer Vielzahl von Anekdoten und sentimentalen Rückblicken auf den Stummfilm (vor allem von Godard) dominiert erfreulicherweise das Faktische. „Filmton-Tonfilm“ ist nicht, wie erwartet, ein nostalgisches Plädoyer für den Stummfilm, und das ist gut so. Denn wer das Wirken des Stummfilms nicht als Zeitzeuge miterlebt hat, kann sowieso nur einen intellektuell rekonstruierten Zugang zu diesem Phänomen bekommen. Und der ist und bleibt prätentiös.

Nicht so „Filmton-Tonfilm“, ein Film, der einen guten Mittelweg zwischen Faktischem und Sinnlichem einschlägt. Was die Autoren gut in den Griff bekommen haben, ist das Wechselspiel zwischen Technik und Ästhetik zu illustrieren, die rigiden Eingriffe des Toningenieurs in die Dreharbeiten. Was wohltuend korrigiert wird, ist das romantisch verklärte Bild der in reiner Ästhetik schwelgenden frühen Filmemacher. Tatsächlich gab es immer Streit, weil das auf dem Set stehende Mikro häßliche Schatten sogar auf die Gesichter der Akteure warf. Und (Ton-)Ingeniere, damals abgeschottet in einer schalldichten Kabine, waren für ästhetische Belange grundsätzlich taub. Die Apparatgeschichte wird somit im Zusammenhang mit der filmischen Ästhetik erzählt.

Der Off-Kommentar wird nicht mit Fakten überfrachtet: Interviews und im Anschluß gezeigte Beispiele illustrieren das Gesagte. Man bekommt einiges mit, hat wenig Zeit, sich zurückzulehnen. Vom traumartigen Stummfilm bis zur Polyphonie im modernen Actionfilm, bei dem einem gar nicht mehr bewußt wird, wieviel des Leinwandgeschehens von der Tonspur suggeriert wird. Beeindruckendes Detail: Sogar das Schweigen mußte nach Einführung des Tonfilms neu erfunden werden. Manfred Riepe