Wand und Boden: Zufall, wie in Wirklichkeit
■ Kunst in Berlin jetzt: Kienholz and Friends, Sylvia Breitwieser, Gilbert und Jaime Hernandez
So müßte man reisen: Mit Blick auf den typischen Zufall – und den mitnehmen. Dann alles ab in die Vitrine. Das ist Indien. Hier, das ist China...
Auf diese Weise müssen die Arbeiten von Edward und Nancy Kienholz entstanden sein, Reiseschreine, die die ganze Welt katholisch aussehen lassen; diese allgemeine Liebe zum Detail, die zwischen Bild und Gegenstand nicht unterscheidet. Von Ägypten ist ein fast Atgetscher Blick auf eine Straßenecke übriggeblieben – wobei dem zu klassisch geratenen Bild dort, wo eine plakatgroße Schrifttafel hängt, mit Gelb nachgeholfen wurde, leuchtendem Gelb, die arabische Schrift ist grün. Über die rechte Hälfte des Bildes, das von einem Blechrahmen zusammengehalten wird, ist als Relief der Längsschnitt eines kompliziert gebauten Stuhls gelegt. Das Häuslich- handwerkliche als Megazeichen. Dem chinesischen Reiseschrein ist, unter dem groben Reisigbesen, eine Coladose mit asiatischer Schrift beigegeben: Man ist nicht auf der Suche nach dem, was folky ist. Die USA kommen nur als indianisches und als schwarzes Amerika vor. Sentimental – nichtsdestotrotz voller Traurigkeit – das indianische: Die Fotografie eines nicht besonders inspiriert aussehenden etwa fünfjährigen Indiojungen neben einem tatsächlichen, sehr ärmlichen Gatter. „American Black“ sieht aus wie die plastische Nachbildung eines Hütteninterieurs von Walker Evans. Diese eigenartigen, hochformatigen Ensembles sind übrigens Abfallprodukte einer Arbeit, die „The Merry-Go-World or Begat by Chance and The Wonder Horse Trigger“ heißt, die – wenn komplett – einer als Karussell getarnten Jahrmarktbude gleicht, in die man, allerdings nur allein, eintreten kann. Dann öffnet sich eine von acht Welten, jene, in die man im Rahmen dieses Kunstspiels „geboren“ wird. Wohin man gerät, ist Zufall, wie in Wirklichkeit.
Die „Freunde“ der Kienholz' sind zwar auch grob anzusiedeln zwischen Pop Art, Surrealismus, Ready-made und allgemeiner Schrillheit, aber ansonsten so heterogen, wie Künstler in sommerlichen Gruppenausstellungen es eben sind. Was zumindest Michael Schulze und Robert Helm mit den Kienholz' verbindet, ist diese gedrungene, gewollt (im Sinne des international style) unmoderne Mischform Objektbild oder Bildobjekt; bei Schulze detailbeladene Tableaus, die man sich am besten in mit Souvenirs und Hippieschnickschnack vollgestopften Höhlen vorstellen kann; bei Helm Bilder mit selbstgemachten Rahmen, die interessanter wären, wenn man die Arbeiten von Richard Artschwager nicht schon kennen würde. Dennoch ist es beeindruckend, wie der wolkige Glanz einer ins Weiche gewendeten pittura metafisica in der reliefartigen Bearbeitung des Zedernholzrahmens („Pacific Cedar“) wiederkehrt. Mein persönlicher Liebling ist eine Zeichnung von Gaylen C. Hansen, die einen bärtigen Freak im Sportladen zeigt, wie er seine Westernstiefel gegen jene aufgeblasenen bunten Sportschuhe tauscht, wie sie jetzt (noch) in Mode sind. Der Typ ist ganz entschieden ratlos.
Galerie Redmann, Kurfürstendamm 199, bis zum 28. August
Das Wesen öffentlicher Schautafeln und Vitrinen liegt immer noch ganz und gar im Argen, wie man an den schrecklichen weißen Glassärgen sehen kann, in die die Arbeiten von Sylvia Breitwieser eingelassen sind – im Flur zum Hinterhofcafé des Brechthauses in der Chausseestraße 125. Obwohl zwei der acht Fotoarbeiten durch offen stehende Flügeltüren verdeckt sind, wird der Rhythmus der Bilder sofort spürbar. Algenbedeckte Knochen strecken sich mittig vor einem milchigen Hintergrund; jedes zweite der extremen Hochformate kehrt das Prinzip um: Ein Pfahl mit bizarren, völlig symmetrischen Wölbungen und Spitzen, wird beidseitig von Algenformen eingefaßt. Schon der anderthalbte Blick verrät, daß es weder zum Tiefseetauchen noch zur Chirurgie irgendwelche Verbindungen gibt. Grundlage jeder Arbeit ist jeweils ein Landschaftsbild, das, sechsfach verwendet, teils gekontert, zum hochformatigen Sixpack montiert wird.
Trotz geringen Aufwands in der Technik funktioniert das Spiel mit der Täuschung, die man gewissermaßen nach Bedarf zuschalten und wegschalten kann – in diesem Mechanismus amüsierten präzisen Schauens den Fotoarbeiten von Thomas Florschuetz nicht unähnlich. Auch bei ihm gibt es diese Balance von Freude an der Metamorphose und Rückgriff auf die Fiesigkeit der Op- Art.
Bis zum 29. August
Von drei zeichnenden Hernandez-Brüdern aus Oxnard bei Los Angeles haben es zwei bis nach Kreuzberg geschafft: Jaime und Gilbert. Nicht ganz so arty wie die New Yorker Szene, bilden sie so etwas wie ein Westküsten-Pendant zur „Raw“-Clique, allerdings sind sie etwas stetiger am Markt. Ihr 32-Seiten-Heft „Love & Rockets“ (darauf muß man erst einmal kommen, bei uns reicht's nur zu Wand und Boden) hat bereits die Nummer 41 erreicht, und die Hefte sind beim Groben Unfug komplett zu kaufen, Dollarkurs 1:2, das ist mehr als fair für einen Import. Allerdings sind die Brüder Hernandez auch ein oder zwei Spuren konventioneller als die Subkultur der Ostküste es sich erlauben würde.
Die Zeichnungen in einer Galerie zu zeigen, macht nur begrenzt Sinn: Weil das Original eines vollständigen Strips zuviel Platz wegnehmen würde, beschränkt man sich auf Beispiele. Von als limitierter Edition herausgegebenen einzelnen Farbdrucken abgesehen, arbeiten die Hernandez' in Schwarzweiß.
Dabei ist Jaime, auf die vollständige (Heft-) Seite hin gesehen, strenger mit der Plazierung der Schwärzen, im Strich präziser und thematisch eher psychosozial interessiert: Imaginäres versus Symbolisches, Kindheit versus Erinnerung. Seine Stories funktionieren auch in Beispielen.
Gilberts Material ist dagegen heterogen: Bandenwesen, Migrations- und Ethnokonflikte, unterlegt mit diversen Genreparodien. Ohne einen Funken Ironie erzählt sein Text die Biographie von Frida Kahlo, wobei die Illustrationen in der Schwebe bleiben zwischen Legendenkritik und Bewunderung. Gilbert ist grober, ein bißchen mehr Crumb; Jaime neigt eher zu Charles M. Schulz. Was man bei einer Ausstellung sieht, sind die Mühen der Arbeit, Korrekturen in Texten, in frischerem Papier eingeklebte Einzelbilder: Das Ganze gedacht für die perfekte Reproduktion.
Die deutschen Hernandez-Bücher aus dem Reprodukt-Verlag von Dirk Rehm sind technisch besser als die originalen Hefte und präsentieren die Brüder getrennt. Die Übersetzungen neigen allerdings zu Amerikanismen, und das Lettering ist in der deutschen Fassung etwas zu brav geraten. Wirkliche Meister der Winz-Schrift sind Jaime und Gilbert Hernandez jedoch beide nicht. In ihrer Art, Versalien auszuführen, ähneln sie sich zum Verwechseln.
Hernandez Bros.: Love & Rockets. Comic-Galerie Grober Unfug, Zossener Straße 32, 10961 Berlin (61). Mo–Fr 11–18.30, Sa 11–14 Uhr
Ulf Erdmann Ziegler
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