: Zwischen Staat und Markt
Plädoyer für ein neues Gemeinnützigkeitsgesetz ■ Von Franziska Eichstädt-Bohlig
Obwohl Berlin an allen Ecken und Enden nach Arbeit schreit, leistet sich die Stadt mehr als 200.000 Arbeitslose. – Ein Phänomen, das nicht nur in Berlin zu beobachten ist.
Unsere Gesellschaft ist erschreckend primitiv zweidimensional ausgerichtet: auf den Staat und den Markt. Bund, Ländern und Kommunen werden immer komplexere Lenkungsaufgaben abverlangt. Der Markt ist auf Gewinn orientiert, nicht auf die Lösung gesellschaftlicher Aufgaben. Der Staat denkt sich ständig neue Lockmittel für die Privaten aus: Steuerabschreibungen, Investitionszulagen und Sonderkredite werden gewährt. Damit wird mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Statt bezahlbare Wohnungen zu bauen, wird in Luxusmodernisierung und Eigentumsumwandlung, in die Vertreibung des Kleingewerbes durch Höchstmieten investiert.
Der Staat ist einerseits bestrebt, die Lust der Reichen am Investieren zu wecken, und andererseits muß er den sozialen und ökologischen Schaden beseitigen. Wo sind in diesem Modell all jene, die weder Staat noch Markt sind, die Bürger? Diese Mehrheit wird auf einen völlig passiven Status festgelegt, auf den des Arbeitnehmers oder Arbeitslosen. Diese passive Abhängigkeit von wachsenden staatlichen Leistungen hat perverse gesellschaftliche Folgen: Arbeitslosigkeit in einem Land, wo es überall zu tun gibt. Wohnungsprobleme bei enormer öffentlicher Förderung des Wohnungssektors.
Das Dreiecksverhältnis zwischen Staat, Markt und Gesellschaft muß grundlegend neu bestimmt werden. Es gilt, die Polarisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verantwortung auf Markt und Staat durch vielfältige neue und alte Formen des Wirtschaftens in Verbindung mit sozialen und gesellschaftspolitischen Zielen zu durchbrechen. Dabei geht es um Wohnungsbau, Stadterneuerung, Erneuerung von Gemeinbedarfseinrichtungen, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Altlastenbeseitigung, Rekultivierung u.ä. Dies alles ist marktwirtschaftlich nicht zu finanzieren. Mit diesen Aufgaben aber kann Arbeitslosigkeit in hohem Maße abgebaut werden. Dazu gehören drei Essentials:
1. Die Bürger müssen aus der Rolle des passiven Wartens auf Arbeitgeber und Wohlfahrtsstaat heraus. Die Gesellschaft muß wieder lernen, selbst aktiv zur Entwicklung beizutragen.
2. Die vor 100 Jahren entwickelten Formen der Verknüpfung von effizientem Wirtschaften mit sozialen, heute auch ökologischen Zielen müssen in Form einer neuen Gemeinnützigkeit wiederbelebt werden.
3. Staatliche Subventionen und die Mobilisierung von Privatkapital müssen gezielt und bevorzugt in Bereiche gelenkt werden, die sozialorientiertes Wirtschaften garantieren.
Um gemeinnützige Formen des Wirtschaftens zu verbreiten, müssen neue gesetzliche Grundlagen geschaffen werden. Der Status der neuen gemeinnützigen Gesellschaften und das Spektrum der Aufgaben sind neu zu definieren. Steuerrechtliche Vorteile gegenüber der normalen Marktwirtschaft und besonders bei der Beschaffung von Kapital müssen bestimmt werden. Die Verbindung von leistungsorientiertem Wirtschaften mit der Entgegennahme von staatlichen Subventionen muß geregelt werden. Nicht der Markt, sondern eine neu definierte Gemeinnützigkeit und dauerhafte soziale Bindungen sollen oberste Priorität in der Förderpolitik des Staates erhalten.
Die heiligen Kühe Staat und Markt müssen also nicht geschlachtet werden, aber sie müssen andere mit auf die Weide lassen: Diese dritte Kraft muß rechtlich und finanziell abgesichert werden.
Die Autorinnen hielten die – hier gekürzten – Vorträge bei einem Kongreß über Wege aus der Krise der Arbeitsgesellschaft im November in Berlin. Der Kongreßbericht mit Beiträgen u.a. von Johan Galtung und Peter Marcuse ist bei der Berliner Service-Gesellschaft „zukunft im zentrum“ erhältlich.
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