: Unwirtlichkeit der S-Bahn
■ 140 Arbeitslose sollen neue S-Bahn-Züge künftig sauber- und „Unerwünschte“fernhalten
Rote Jäckchen, blaue Hosen und immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen. So sollen die 140 neuen „Dienstleister“in den neuen Zügen der S1 nach Poppenbüttel den öffentlichen Nahverkehr in ganz neuem Licht erscheinen lassen: kundenfreundlich. Die S-Bahn Hamburg hat nämlich entdeckt, daß es nach dem Ersetzen des Personals durch Maschinen an Menschen mangelt und die Züge dem Vandalismus anheim fallen.
Bezahlen läßt sich die S-Bahn das Schutzprogramm für unbefleckte Züge vom Staat. Beim Chef des Arbeitsamtes, Olaf Koglin und der Arbeitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) war die Freude gestern groß. 140 neue Arbeitsplätze drücken die Hamburger Arbeitslosenzahlen. Ab 1. Juni sind es nur noch 92.500. 6 Millionen Mark lassen sich Stadt und Arbeitsamt das Projekt kosten. Die S-Bahn schießt nur 60.000 Mark zu.
Gesucht werden Arbeitslose mit „gefestigter Persönlichkeit“und „positivem Menschenbild“, die den Fahrgästen eine „helfende Hand in jeder Situation“bieten, erklärt Angelo Wehrli vom Träger des Programms, „altonaer arbeitsförderungsgesellschaft“(afg). Sie sollen im Schichtdienst Sitzaufschlitzer und Sprayer von ihrem Tun abhalten, Fahrgästen Auskünfte erteilen, Gepäck tragen helfen und Sicherheit vermitteln.
Obdachlose würden auf Hilfsangebote hingewiesen. Das interne Konzeptpapier der afg wird da deutlicher: Von „Unerwünschten Personen“ist dort die Rede. Außerdem gehört danach die „dauernde Beseitigung von Müllablagerung (Bierdosen, Altpapier)“zum Aufgabenbereich der „Dienstleister“.
Wie sich diese Beschäftigung mit den Kriterien für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verträgt, ist fraglich. Denn öffentliche Förderung setzt eine Weiterqualifizierung voraus. Die Maßnahme soll Fähigkeiten in Bereichen vermitteln, „in denen der Arbeitsmarkt voraussichtlich ausfnahmefähig ist“. Doch wo sollen diese S-Bahn-Helfer hin, wenn ihre Stellen Ende 1998 auslaufen? Ob sie von der S-Bahn übernommen werden ist offen. Zwar will man die Stellenzahl bis Ende des Jahres von 140 auf 360 aufstocken. An längerfristige Arbeitsplätze wird aber nur gedacht, wenn die Kosten für Vandalismus (8 Millionen Mark) sinken.
GALier Andreas Bachmann ist überzeugt, daß dieses Projekt zu einer vom Bürgermeister gewünschten Wahlkampf-Kampagne „Sauberkeit in der Stadt“gehört; eine Umbennung der umstrittenen „Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Stadt“. Tatsächlich existiert ein Papier der Umweltbehörde vom November, in dem „Säuberungsaktionen im Bereich der DB AG“als Beschäftigung für Arbeitslose benannt sind. Mit auf der Liste ist zudem die „Säuberung der Freizeitparks“, inklusive der Einrichtung von Hundeklos. Silke Mertins
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen