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Liebe Hörer, überall Radarfallen!

■ Service oder Sünde? Dürfen gewissenlose Privatradios die Tempokontrollen der Polizei verraten?

Ein uralter Konflikt: Auf der einen Seite stehen graue Herren, die möglicherweise Prostataprobleme haben und sich in unerotischer Kleidung und furchtbarem Deutsch für Dinge wie Recht und Ordnung einsetzen. Auf der anderen Seite stehen junge Menschen, die einfach besser aussehen und reden können und die Fröhlichkeit der Aufmüpfigen ausstrahlen.

Wir verraten es lieber gleich, wir wollen uns hier zum Anwalt der ersten Gruppe machen, der freundlichen Familienväter, die die grauen Herren von der Polizei nämlich auch sind. Jeder große Kulturkampf zieht irgendwann einmal eine jämmerlich Farce nach sich, und so verhielt es sich auch Ende Februar: Da fand der hehre Krieg der jungen Freiheitsliebenden gegen die alten Ordnungspedanten sein Ende in einer öffentlichen Debatte über „Bodo Blitz“, einen Service des schleswig-holsteinischen Dudelsenders RSH, in dem der Sender Geschwindigkeitskontrollen der Polizei an die rasende Hörerschaft verrät. Geladen hatte die Kieler Medienbehörde ULR in das Kommunikationszentrum „Pumpe“, und daß es um einen Kulturkampf ging, zeigte schon das Motto: „Service oder Sünde“. Wenn das mal nicht die Antipoden des kommenden Diskursjahrzehnts werden.

Dabei ist das Problem ganz einfach und die Lösung auch: Verrät der Sender den genauen Standort der Radarkontrolle, wie es RSH tut, das seine autoverdorbenen Hörer auch noch zur Meldung der Blitzanlagen auffordert, dann rasen die Raser andernorts weiter und fahren Kinder tot. Wer nicht will, daß die lieben Kleinen von gräßlichen BMW-Fahrern zermalmt werden, muß Bodo Blitz also blöd finden. Schließlich warnt der Sender auch nicht vor Drogenrazzien.

Werden hingegen nur die ungefähren Gegenden verraten, in der sich eine Kontrolle herumtreiben könnte (so machen es andere Sender), dann fahren die verabscheuungswürdigen Schnellfahrer, obrigkeitsfixiert, wie sie nun mal sind, zumindest dort langsam. Sowieso haben die freundlichen Familienväter von der Polizei viel zu wenige Blitzkästen, um überall zu stehen. Der Raser aber, weil er doof ist, denkt radiohörend: „Hui, überall Radarfallen“ und nimmt seinen Fuß vom Gas.

Wie gesagt, die Lösung ist einfach, eine entsprechende Absprache ließe sich schnell erreichen. Denn wenn sie auch so aufmüpfig tun, im Grunde sind auch die Privatradiomenschen obrigkeitsfixiert, das ließen sie durchblicken. Und wer mag schon gerne Kindermord-Ermöglicher sein. Aber, wie gesagt, es ist ein Kulturkampf: Auf der einen Seite die beleidigten Familienväter von der Polizei, denen Bodo schon oft genug das unfallpräventive Tagwerk verhagelt hat. Ehrliche Männer wie Robert Keller vom Kieler Innenministerium, der verzeifelt Worte wie „Überwachungsdichte und Flächendruck“ in die Debatte wirft, „ich darf wiederholen, Überwachungsdichte und Flächendruck“. Die bei den jungen Spunden vom Privatradio auf so wenig Gehör stießen, daß sie wie Diplomaten gleichzeitig Verhandlungen anboten und Vorbedingungskataloge formulierten.

Auf der anderen Seite Männer wie Hermann Stümpert, ein ganz alter Recke des Privatradios. „Das Radio“, weiß er, „muß in einer freien Gesellschaft wissen, wo es steht.“ Es müsse daher, sagt er, „mehr volksnah als staatsnah sein“. Da haben wir's! Und ergänzt: „Und welches Symbol ist staatsnäher als eine Radarfalle?“

Weil wir nun soviel über Kulturkampf räsoniert haben, wollen wir auch noch überlegen, was das Ganze über unsere Zeit sagt: Dem antiautoritären Gestus, das sieht man an den Privatradiomenschen, ist heutzutage der emanzipatorische Zweck entglitten. Revolutionäre Hülle, das weiß auch, wer sich einmal mit PDS-Sympathisanten unterhielt, birgt oft reaktionären Inhalt. Und so finden sich die wahren Verteidiger der Freiheit manchmal auf der Seite der Ordnung wieder. Oh, eigenartige Dialektik! Ein Hoch auf die wackeren Familienväter von der Verkehrspolizei! Lutz Meier

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