Kalorien zählen ist out

Dicksein ist okay – am Wochenende steigt in Hamburg der erste dicke Bundeskongreß  ■ Von Mechthild Klein

„Ich habe mich bisher noch nie in eine Tanzschule getraut, in diese Welt der Schlanken und Schönen.“Monika Herrmann ist dick. Und deshalb befürchtete sie immer, kein passendes Kleid, geschweige denn einen Tanzpartner zu finden. Doch mit dieser Angst ist jetzt Schluß. Die Schwergewichtigen nehmen ihre Anliegen inzwischen selbst in die Hand, gründeten den Verein „Dicke e.V.“und treffen sich an diesem Wochenende erstmals in Hamburg zum bundesweiten Kongreß.

Das Motto der Veranstaltung lautet: „Ich will so bleiben, wie ich bin – ich darf.“Kein Zweifel: Hier werden keine neuen Diäten vorgestellt. Hier soll frau, aber auch mann zum eigenen Gewicht stehen. Entsprechend auch die Namen der Workshops: „Mode für starke Frauen“wird da gepriesen, dicke Frauen wollen mit ihren „männlichen Bewunderern“in den Dialog treten, und die „Oase der dicken Lesben“wird beschworen.

In erster Linie soll der Kongreß ein Forum zum Erfahrungsaustausch sein, sagt Dicke-Bundesvorstandssprecherin, Gudrun Wohlrab. Das Adjektiv dick hält Wohlrab für akzeptabel, weil neutral. Gegen verniedlichende Bezeichnungen wie „Wonneproppen“oder „Pummelchen“wehrt sie sich jedoch vehement. „Wir wollen schließlich ernst genommen werden“, meint die 32jährige Soziologin, die auch ihre Diplomarbeit über die Diskriminierung von Dicken schreibt.

Dicke erleben es fast täglich, im Büro oder im Sportstudio beleidigt oder angestarrt zu werden. Dagegen hilft nur eine anständige Portion Selbstbewußtsein, und das trainieren die Dicken nun auch: Gemeinsames Schwimmen, Ausflüge oder Tanzkurse stehen auf dem Programm. „Wichtig ist es, ein Gefühl für den eigenen Körper zu bekommen, sich anzunehmen, wie man ist“, rät Wohlrab. Die „schlanke Zukunft“würden die meisten Dicken schließlich doch nicht erleben. Ob Brigitte-Diät, Trennkost oder Weight Watchers, keine Methode funktioniere auf Dauer. Das Dilemma: Hinterher bringen die Dicken sogar noch mehr auf die Waage als vor der Diät.

Das neue Selbstbewußtsein der Dicken hat zugenommen. Kalorien zählen ist out, „Dicksein ist okay“. Das meinen mittlerweile 450 Mitglieder in 16 Regionalgruppen in ganz Deutschland. Diskriminierungen wollen sie nicht mehr hinnehmen.

Am heutigen Sonnabend planen sie, eine Resolution zu verabschieden, mit der sie eine Änderung des Grundgesetzes fordern. In Artikel 3 Absatz 3 soll demnach hinzugefügt werden, daß Menschen aufgrund ihres Körperumfangs nicht diskriminiert werden dürfen. Wohlrab denkt da etwa an Benachteiligungen bei der Stellensuche oder auch ärztliche Behandlungsverweigerungen. Letzteres begegne dicken Menschen immer wieder, sagt Wohlrab. Ärzte würden das hohe Gewicht der Patienten als Gesundheitsrisiko vorschieben und eine Behandlung verweigern mit den Worten: „Sie müssen erst mal abnehmen.“

Dicke e.V. lädt heute abend ab 21.30 Uhr zur Dickendisco. Mitmachen kann jede und jeder, unabhängig vom Gewicht. (Ort: Stadtteilzentrum Motte, Rothestraße 50 in Hamburg-Altona)