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„Nicht mit Ellenbogen und Tränen kämpfen“

■ Ex-Bürgermeisterin Annemarie Mevissen (82) über Frauen in der Politik Von Kerstin Schneider

Frau Mevissen, Sie waren 23 Jahre Politikerin in Bremen – zuletzt als Bürgermeisterin. Eine Karriere, die Ihnen bis heute keine Frau nachgemacht hat. Was haben Sie, das andere nicht haben?

Ich habe es leichter gehabt, in die Politik einzusteigen. Die Situation war damals völlig anders. In der Politik waren damals Männer aktiv, die schon vor 1933 aktiv Politik gemacht hatten. Durch die Nazizeit waren sie ohne diesen Lebensinhalt – zwölf lange Jahre. Diese Männer wollten nachholen, was sie versäumt hatten. Sie wollten Politik machen und brauchten Mitstreiter. Es hat sich aber niemand gedrängt.

Und deshalb haben die Männer Sie geholt?

Ja, ich wollte ja gar nicht in die Politik. Ich war Buchhändlerin und hatte das Glück, eine kleine Tochter zu haben. Ich wollte mit Kindern arbeiten und eigentlich Lehrerin werden, und zwar Volksschullehrerin. Ich wollte unten anfangen, wo man auf die Kinder Einfluß nehmen und ihr Leben prägen kann. Als mich der damalige Bausenator Emil Theil, ein Bekannter meines Vaters, bat, für die SPD zu kandidieren, habe ich ihn nicht ernst genommen. Wirklich. Politik war so außerhalb dessen, was ich mir vorstellen konnte. Ich wollte nicht ins Parlament, und ich wollte auch später nicht in den Senat.

Die Männer haben sie trotzdem in die Politik geholt. Bürgermeister Kaisen hat sie später sogar zur Senatorin gekürt – zu einer Senatorin ohne Ressort. Waren Sie eine Alibi-Frau?

Nein, damals regierte die Große Koalition und Kaisen mußte die CDU mit Senatsressorts eindecken. Es war schlicht und einfach kein Ressort mehr frei. Das war mein Problem. Anstatt mir ein Ressort zu geben, hat Kaisen mir dann den Auftrag erteilt, die Lage der Jugendlichen wissenschaftlich zu untersuchen. Mit den Ergebnissen sollte ich dann zu den Kollegen im Senat gehen, um ihnen zu raten, wie sie die Not der Jugendlichen lindern könnten. Das war eine Zumutung. Das war unmöglich. Ich war damals sehr schockiert, daß jemand, den ich für so klug gehalten habe, einen solchen Vorschlag machen konnte. Kaisen hätte das keinem Mann zugemutet. Aber einer Frau kann man das ja zumuten, vor allem einer so jungen.

Sie haben Kaisen damals geschrieben: „Was nützt es, gute Ideen zu haben und den Willen, diese Ideen zu verwirklichen, wenn mir die Mittel und die Kräfte fehlen, um sie durchzuführen.“Kaisen antwortete schroff: „Ich war es, der Ihre Senatskandidatur betrieben hat, und heute muß ich schmerzlich erkennen, daß ich mich geirrt habe.“

Ja, das war mein politisches Trauma.

Sie haben nicht aufgegeben.

Nein, ich hatte meinen Stolz. Wenn ich aufgegeben hätte, hätte ich versagt – jedenfalls hätte ich das so empfunden.

Man hat Ihnen allerdings noch mehr zugemutet. Sie bekamen kein Senatsressort, stattdessen wurde Ihnen das Jugendamt und das Amt für Jugendförderung unterstellt. Das war ein Kompromiß. Fortan mußten sie sich – als Senatorin – in Sachen der Jugendfürsorge mit Senator Degener und in Fragen der Jugendförderung mit Senator Wolters absprechen.

Ja, aber trotzdem wollte ich mein Senatsmandat nicht zurückgeben. Kaisen hatte mich mit seinem Brief derart verletzt, ich wollte ihm zeigen, daß er sich getäuscht hatte. Kaisen hat noch lange meine Meldungen im Senat ignoriert. Das war ganz besonders schlimm. Wenn jemand, den Sie schätzen, Sie so mißachtet, verlieren Sie selbst langsam das Vertrauen zu sich. Und das war für mich ganz, ganz schwierig.

Wie haben Sie sich gewehrt?

Ich habe versucht, meine Arbeit so gut zu machen, wie ich konnte.

Offenbar mit Erfolg. Als es 1955 um die Neubesetzung des Senats ging, hat Kaisen sich für Sie stark gemacht und die Fraktion wählte Sie wieder. Sie hatten einen vier Jahre langen Kampf hinter sich. Für Frauen war es damals aber noch nicht so selbstverständlich, sich durchzubeißen?

Stimmt. Ich glaube, daß hängt auch mit meinem Elternhaus zusammen. Mein Vater hat mich zum Widerspruch erzogen. Und bitte, ich bin ja durch eine Zeit gegangen, die nicht so einfach war. Der Nationalsozialismus hat mich an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die Nazis haben mir das Studium verboten. Ich konnte nicht Lehrerin werden. Und auch im Berufsleben mußte ich meinen Mann stehen. Als ich in Leipzig als Buchhändlerin arbeitete, hatte ich einen sehr unangenehmen Chef. Dann bin ich nach Marburg gegangen. Ich war ahnungslos, bis mein neuer Chef eines Tages mit SA-Uniform in den Laden kam. Diese Jahre waren nicht einfach. Ich habe deshalb 1945 mit sehr viel Hoffnung angefangen. Vor uns lag eine freie Welt. Wir hatten zwar eine Niederlage erlebt, aber es war eine Befreiung. Wir konnten wieder etwas tun. Wir wollten diese neue Welt, die da in Trümmern vor uns lag, neu aufbauen. Dafür lohnte es sich, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen.

Zweifelsohne haben Sie eine Menge Schwierigkeiten in Kauf genommen und gemeistert. Kurz nach Ihrem Rücktritt 1975 haben Sie aber gesagt, Ihr Engagement als Frau hätte nicht so gewirkt, wie Sie es sich erhofft hätten.

Ich hätte mir gewünscht, daß mehr Frauen in die Politik gehen, und zwar schon während meiner Amtszeit. Die Männer haben doch 23 Jahre lang erlebt, daß eine Frau in der Politik ihren Mann stehen kann. Die hätten doch mehr Frauen in die Positionen bringen können. Aber das haben sie nicht getan.

Sie haben mal gesagt, nicht die Herren der Schöpfung würden die Emanzipation behindern, sondern die Frauen selbst.

Ja, das heißt aber nicht, daß die Frauen daran selbst schuld wären. Frauen sind erst sehr spät in die Politik hineingelassen worden. Frauen haben keine Lobby. Männer haben eine ganz andere Lobby. Sie haben meistens eine größere Zahl von Anhängern, die sie unterstützen. Außerdem sind Frauen überlastet. An ihnen bleiben noch immer die meisten Pflichten, was z.B. Haushalt und Familie angeht, hängen. Vielfach bleibt den Frauen gar nicht die Zeit, sich auch noch um Politik zu kümmern.

Ist die Frauenquote eine Lösung?

Ja und nein. Man kann natürlich so stolz sein, zu sagen, daß man stark und klug genug ist, es alleine zu schaffen. Mit der Quote sind aber zumindest einige Frauen in Führungspostionen gekommen. Und das ist dringend notwendig. Die Quote ist eine Hilfe. Wir sollten nicht darauf verzichten und so tun, als seien wir selbst stark genug.

Als Sie Senatorin wurden, regierte eine Große Koalition – so wie jetzt. Wie haben Sie die Zusammenarbeit damals erlebt?

Großartig. Es hat Streit gegeben, sicher. Aber die Zusammenarbeit hat geklappt. Die Formen waren menschlich, der Streit war ernst.

Und heute?

Das kann und will ich nicht beurteilen. Es gibt einen ganz gravierenden Unterschied: Wir hatten Geld – darum wurde sehr gerungen, aber wir hatten es. Wenn ich heute durch die Stadt gehe, erkenne ich meine eigene Handschrift. Angefangen von den Kindergärten bis hin zu den Altenheimen. Die Große Koalition war keine verwaltende, sondern eine gestaltende. Das hat die Atmosphäre entscheidend beeinflußt.

Nach Ihrem Rücktritt haben Sie aber gesagt: „Ich gebe zu, daß ich enttäuscht bin über die Entwicklung, die sich für Frauen in der Politik vollzogen hat. Ich resigniere nicht wegen Zweifeln an der Fähigkeit der Frauen, öffentlich tätig zu sein, sondern vor der Form der politischen Auseinandersetzung heutzutage, die ein Klima geschaffen hat, das es einer Frau schwer macht, in der Austragung von politischen Konflikten zu bestehen. Was hatte sich geändert?

Die jungen Leute haben mir das Arbeiten in der Partei nicht sehr leicht gemacht. Es war ein Klima, das die Zusammenarbeit schwierig machte. Die Auseinandersetzungen waren quälend, sehr persönlich und unsachlich geworden. Es wurden ideologische Streitgespräche geführt.

Das müßten doch aber auch die Männer gemerkt haben. Hatten Sie das Gefühl, daß Sie als Frau härter angegangen wurden?

Nein, aber Sie stehen ja immer mittendrin in der Auseinandersetzung. Ich habe nie mit Ellenbogen oder Tränen kämpfen wollen. Das war nicht meine Art. Ich habe als Frau manchmal sogar mehr Unterstützung bekommen. Es wurde nur immer schwieriger, Politik zu machen. 1975 hatten wir erhebliche Schwierigkeiten, den Haushalt glatt über die Bühne zu bringen.

Das Geld wurde knapper, die Diskussionen wurden härter. Das galt doch aber für Männer und Frauen gleichermaßen.

Ja, aber Frauen sind anders strukturiert als Männer.

Inwiefern?

Eine Frau ist auf mehr Harmonie ausgerichtet. An Männern scheint das eher abzupralen. Natürlich gibt es auch Männer, die darunter leiden.

Und was würden Sie Frauen raten, die heute in die Politik gehen wollen?

Nicht mit Ellenbogen und Tränen kämpfen, sondern mit Sachverstand. Sie müssen ein Selbstbewußtsein haben, das ihnen den Mut gibt, schwierige Situationen durchzustehen und sich in Auseinandersetzungen hineinzuwagen. Sie müssen bereit sein, das Risiko zu übernehmen. Auch wenn man Angst hat, kann man der Auseinandersetzung nicht ausweichen. Das muß man sich schon zutrauen, wenn man in die Politik geht. Das ist kein einfaches Geschäft.

Apropos Geschäft. Frauen bekommen noch immer solche Ressort wie Bildung oder Soziales, während Männer das Finanz- oder Justizressort leiten.

Bringfriede Kahrs (Kultur) und Tine Wischer (Soziales) haben die schwierigsten Ressorts bekommen. Frauen haben zwar von je her eher die menschlicheren Ressorts, das ist richtig. Frauen sind oft genug in die Politik geworfen worden ohne Sachkenntnis. Was habe ich denn damals von Haushalt und Finanzen verstanden? Frau Kahrs ist Lehrerin. Das Bildungsressort entspricht ihren Voraussetzungen. Nun mögen Sie ja sagen, ob das beim Häfensenator auch so ist. Ob der die Voraussetzungen hat? Männer trauen sich viel mehr zu, ohne ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen. Wir sollten in dieser Hinsicht aber nicht von den Männern lernen. Frauen sollten dabei bleiben, auf ihren Sachverstand zu bauen, weil sie darin bestehen können. Frauen lassen sich auch nicht so leiten von Habgier und Geltungssucht. Und das ist gut so.

Würden Sie heute nochmal Politikerin werden?

Annemarie Mevissen lacht. Nein.

Warum nicht.

Die Zeit war schön. Für mich war Politik aber nie das ganze Leben. Ich hatte noch viele andere Interessen. Was ich erlebt habe, würde ich gerne noch einmal wiederholen – vor allem die Zeit im Senat. Ich habe auch den Eindruck, daß Annemarie Mevissen gewirkt hat als Beispiel für die Frauen in der Gesellschaft. Und wenn das so ist, kann ich doch eigentlich zufrieden sein. Nur in der Politik hat es eben wenig Wirkung gehabt.

Ihre Erinnerungen hat Annemarie Mevissen in ihrer Biographie „Erlebtes aus der Politik“zusammengefaßt. Verlag-Hauschildt, 1984, 18 Mark.

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