piwik no script img

Herr Kaiser goes gothic

■ Von der Germanistik totgeschwiegen, von RTL verfilmt: Der ewige Geisterjäger "John Sinclair" (So., 20.15 Uhr)

Der junge Mann blickt von seinem Schreibtisch aus nach draußen. Die Welt des Jahres 1973, die er dort vor dem Bastei-Velagsgebäude in Bergisch-Gladbach sieht, ist ein wenig heiler als heute. Die Kids spielen Cowboy und Indianer und nicht Sexmörder und Opfer. Stephen King arbeitet noch als Englischlehrer in Hampden (Maine) und bessert sein schmales Gehalt mit Short Stories für Illustrierte auf.

Jason Dark stellt Simmel in den Schatten

So wie der junge Mann im Bergischen Land, der als Redakteur und Autor wie am Fließband Groschenroman auf Groschenroman schreibt: „Cliff Corner“, „Lassiter“, „Jerry Cotton“... Warum nicht mal was richtig Gruseliges, denkt er sich. In dieser neuen Fernsehserie „Die Zwei“ mit Tony Curtis und Roger Moore heißt eine Figur Brett Sinclair. Das klingt verdammt britisch, das paßt zum Horrorgenre. Da nehme ich einfach einen anderen Vornamen, denkt sich der junge Mann. Vielleicht John? Mal sehen. Und er beginnt zu tippen: „Wie ein unheilvoller Schatten lag die Dunkelheit über dem Land...“

So oder ähnlich dürfte die Erfolgsstory des Helmut Rellergerd begonnen haben, den Gruselfans nur unter seinem Pseudonym Jason Dark kennen. Über zwanzig Jahre später ist aus dem jungen Mann der meistgelesene deutsche Gegenwartsautor mit über 200 Millionen Exemplaren Gesamtauflage geworden. Jason Dark stellt selbst Simmel in den Schatten – und er schreibt immer noch über John Sinclair. Unermüdlich ist der von ihm erdachte Scotland-Yard-Geisterjäger unterwegs in Vergangenheit, Gegenwart, Parallelwelten und auch schon mal der Hölle, um Gespenster, Hexen, Zombies, Ghouls, Vampire und anderes Dämonen-Kroppzeug über die glänzend-silberne Klinge springen zu lassen.

Für die verbissen schweigende Germanistik wäre der Ghostbuster allein schon unter dem Aspekt der political correctness ein Seminar wert. Auf dem Höhepunkt der rassistischen Ausschreitungen in Deutschland legte „Jason Dark“ seinem Protagonisten (und dessen chinesischem Kollegen Suko) so manche Äußerung „gegen rechts“ in den Mund: „Ich konnte einfach nicht nachvollziehen, was in den Köpfen dieser verblendeten Jugendlichen vorging. Als wäre Europa nicht schon einmal durch diese und ähnliche Bestien in ein tödliches Chaos gestürzt worden“ (John Sinclair Nr. 770).

Da Rellergerd ohne Unterbrechungen seit 1973 aktiv ist, wird im September 1997 das Heft Nr. 1000 der Erstauflage erscheinen.

Weiße Magie und Trockennebel

Kein Wunder, daß dieses Jubiläumsjahr durch Specials wie ein Sinclair-Lexikon, ein Sinclair-Computerspiel und vor allem eine effektreiche Sinclair-TV-Serie gekrönt werden soll. Die auf einem frühen Sinclair-Abenteuer basierende RTL-Story ist zwar kein Highlight der Fernsehgeschichte, weist aber auch nicht die lieblose Runterkurbel-Qualität diverser anderer „Eigenproduktionen“ der Privaten auf. Sicher, man hat nicht am unheimlich wabernden Trockennebel gespart. Damit auch der letzte Zuschauer merkt, daß er hereingezappt ist, um das Fürchten zu lernen.

Mit Florian Fitz wurde ein Hauptdarsteller gewonnen, der sogar eine für RTL-Verhältnisse differenzierte Darstellung an den Tag (bzw. die Nacht) legt. Romankenner werden bemerken, daß Fitz ähnlich wohlerzogen und weißmagisch-bibelfest agiert wie sein Romanheft-Pendant.

Allerdings werden Grusel-Nostalgiker mit Edgar-Wallace-Vorlieben bei der „Dämonenhochzeit“ die Kauzigkeit skurriler Charaktere vermissen. Denn obwohl es in den Sinclair-Heften öfter auch mal was zu lachen gibt, wirkt die Produktion aus der niederländischen Fernsehfabrik Endemol so ernst wie ein Lehrerzimmer voll deutscher Pädagogen. Punkte macht der abendfüllende TV- Thriller hingegen mit den Special Effects. Erstmals wurde für eine deutsche TV-Produktion die kostspielige VFX-Technik benutzt. Hierfür heuerte man Spezialisten an, die auch bei Emmerichs „Independence Day“ am Computer in der Bastelecke saßen. Über dem Durchschnitt liegt auch die Musikuntermalung, an der New-Wave- Oldtimer Tom Dokoupil mitwerkelte.

Wenn also am Sonntag abend Gespensterjäger John Sinclair mit seinem Einsatzköfferchen über unsere Bildschirme wandelt wie ein auf Gothic gestylter Herr Kaiser, betritt jedenfalls ein genuines Stück deutscher Popkultur die elektronische Arena. Martin Barkawitz

Der Autor hat 1996 seine Magisterarbeit im Fach Literaturwissenschaft („Geister, Ghouls und Gräber. Darstellungskonventionen und typische Strukturelemente der Heftromanserie ,Geisterjäger John Sinclair‘“) zu diesem Thema geschrieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen