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Ermüdungserscheinungen

■ Die touristischen Massen sind massenmüde. Gefragt sind Spezialprodukte. Ein Gespräch mit der griechischen Tourismusministerin Vasso Papandreou

„Wir haben nicht nur Sonne und Meer zu verkaufen“, erklärt die Superministerin, „wir werden das Produkt Tourismus jetzt stärker differenzieren.“ Die Wirtschaftswissenschaftlerin Vasso Papandreou, in der griechischen Regierung zuständig für die Ressorts Tourismus und industrielle Entwicklung, hat allen Grund, neue Marktstrategien aufzulegen.

Seit 1992 lahmt das Goldene Kalb. Dem Massentourismus, über zwanzig Jahre ein lukrativer Selbstgänger, laufen die Massen weg. Gut zwölf Prozent weniger Touristen als im Vorjahr landeten 1996 per Charter auf den Airports zwischen Thessaloniki und Heraklion. Die Zahl der zwischen April und August Eingeflogenen sank gegenüber dem Vorjahr laut Branchen-Statistik von 3,2 Millionen auf 2,8 Millionen („Tourismos & Oikonomia“, 10/96). Regierungsvertreter schätzen den Rückgang fürs gesamte Jahr zwar nur auf acht Prozent. Doch auch die signalisieren längst eine kritische Masse: Immerhin zapft das Zehn-Millionen- Land seine Haupteinnahmen aus dem Geschäft mit Heimatfrust und Reiselust.

Die nüchterene Vasso, Mitbegründerin der sozialistischen Pasok-Partei und vier Jahre griechische EG-Kommissarin in Brüssel, hat für ihr Programm gute Erfolgschancen. Die rundum respektierte Dame kontrolliert nicht nur die beiden wichtigsten Ministerien, sondern dies zu einer Zeit des politischen Kulturwandels. Seit dem Tod des charismatischen Volksvaters Andreas Papandreou, mit dem sie nicht verwandt ist, haben mit der Simitis-Regierung jetzt Wirtschaftstechnokraten das Sagen. Leute, die offenbar Zahlen und Trends zu deuten wissen.

Vasso Papandreou analysiert den Massenschwund: „Da ist zunächst die ökonomische Krise in Europa selbst. Die Menschen halten ihr Geld zusammen.“ Doch sie suchten sich auch zunehmend neue Reiseziele aus. Und schließlich die stabile Drachme – Ergebnis der von Maastricht verlangten wirtschaftlichen Gesundungskuren. Die daraus folgenden höheren Inlandspreise mögen manchen abgeschreckt haben. Allerdings bewirkten sie, daß trotz Besucherrückgang die Deviseneinnahmen um sechs Prozent anstiegen. „Und schließlich haben wir einige Probleme mit unserer Infrastruktur, vor allem mit den Flug- und Schiffshäfen. Hierzu wurde eine entsprechende Politik gestartet.“

Hatte nicht deswegen Urlaubs- Griechenland bei uns keine so schmeichelhafte Presse? „Dahinter verbargen sich vor allem politische Gründe. Probleme mit den Mitgliedsstaaten im Bereich der Außen- und Wirtschaftspolitik. Die führten zu einer negativen Gesamtdarstellung unseres Landes.“ Gemeint sind vor allem der Konflikt mit Jugoslawisch-Makedonien und der Türkei. Die zuständigen griechischen Stellen hätten auf die Meinungsmache nicht reagiert: „Unsere Public-Relations-Arbeit muß verbessert werden, in einigen Auslandskadern der EOT (staatliche Tourismus-Organisation) sitzen nicht die geeigneten Leute.“

Alles also nur üble Nachrede? Frau Vasso weiß natürlich von den zahlreichen imageschädlichen Episoden. Beschwerden über Taxifahrer und den touristischen Service. „Manchen Angestellten fehlt es an der richtigen Grundeinstellung.“ Für die berufliche Aus- und Weiterbildung des „menschlichen Potentials“ will sie daher jetzt 3,9 Milliarden Drachmen (etwa 26 Millionen Mark) ausgeben.

Zur Saison treffen in touristischen Orten oft zehn Einflieger auf einen Einwohner – mit den bekannten Flurschäden im Gefolge. Was ist aus Sorbas' Land geworden? Aus den verschlafenen Dorfgassen, den kreidegetünchten Häuserkuben, der Strandtaverne mit dem gemächlichen Wirt, dem verträumten Fischerhafen, den begrünten Terrassen und den uralten Olivenhainen? Der klassische Griechenlandtourist fährt längst woandershin.

„Das Modell des Massentourismus zeigt generelle Ermüdungserscheinungen. Wir haben zwar die Möglichkeit, die Zahl noch etwas zu erhöhen, wollen aber jetzt vermehrt Touristen der höheren Einkommensstufe anziehen. Sie belasten die Umwelt nicht zu sehr und lassen mehr Devisen im Land.“

Ach ja? Vasso erwähnt lobend jene Deutschen, die alte Häuser erworben und sie liebevoll im alten Stil erhalten haben. Ein umwelt- und kulturfreundlicher Tourismus, so die Ministerin, werde auch die Lebensqualität der Griechen verbessern. „Natürlich müssen wir auch selbst die Umwelt intensiver schonen.“ Zwei späte, aber nicht zu späte Einsichten.

Welche Spezialprodukte also verheißt uns das Programm der Powerfrau? „Zum Beispiel der Kulturtourismus. Ich denke nicht nur an die antike Kultur, unsere Museen, archäologischen Stätten.“ Auch die modernen Errungenschaften gelte es herauszustellen. Und dann der Wintersport und der Bergtourismus. Ein Programm zum Ausbau der Wanderwege wird gerade gestartet. „Und nicht zu vergessen: unsere einzigartigen Naturschutzgebiete, zum Beispiel im Norden bei Xanthi und Thessaloniki. Die werden jetzt mit Geldern des zweiten Delors-Pakets und durch Privatkapital erschlossen und wiederum einen besonderen Tourismus nach sich ziehen.“ Und dann der Tagungs- und der Heiltourismus: „Das Meer kann zum Beispiel für Thalassotherapie genutzt werden.“ 10 Milliarden Drachmen (etwa 70 Millionen Mark) stehen sofort für den Ausbau touristischer Häfen mit 800 Anlegestellen zur Verfügung. Bis zur Jahrtausendwende werden rund 9.000 weitere Liegeplätze fertig sein. „Wir bereiten Starthilfen für den Bau von Golfanlagen in Kreta, Rhodos und in Nordgriechenland vor.“

Was haben, bitte schön, diese Elite-Zonen mit der angekündigten Kultur- und Traditionspflege auf dem Land zu tun? Und wie viele Hektar Bauernland werden für den grünen Rasen platt gewalzt? Woher soll all das Wasser kommen? Den Wandel vom Massen- zum Spezialtourismus gibt es nicht umsonst. „Es geht nicht um die Zahl der Gäste, sondern welche Touristen da kommen.“ Als Rentners Winterparadies hat die Sozialistin Vasso Papandreou ihr Land nicht ausdrücklich empfohlen. Uwe Wandrey

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