: „Wir müssen einander helfen“
■ Zu den Rassismusvorwürfen gegen Rudolf Steiner
Die Auseinandersetzung um angeblich rassistische Thesen Rudolf Steiners schlägt derzeit wieder einmal hohe Wellen. Häufig zitiert wird dabei die (nicht autorisierte) Abschrift eines „Arbeitervortrags“ des Anthroposophiebegründers. Der Text spielte auch im taz-Thema „Anthroposophie“ schon mehrfach eine Rolle. Detlef Hardorp, bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg, nimmt Stellung zu den Vorwürfen.
Um Rudolf Steiner als „Rassisten“ zu brandmarken, sind wiederholt (so auch in der taz vom 28.9. 1996) dieselben Auszüge aus einem Vortrag abgedruckt worden, den er einer Versammlung von Bauarbeitern am 3. März 1923 hielt. Liest man diesen Text genau und vor allem komplett, dann fällt allerdings auf, daß Steiner die physische Konstitution des weißen Europäers keineswegs für überlegen hält. „Wir armen Europäer haben das Denkleben, das im Kopf sitzt. (...). Dadurch aber nehmen wir die ganze Außenwelt auf, werden dadurch leicht Materialisten. Der Neger wird schon kein Materialist. Der bleibt schon innerlich Mensch.“
Warum? Weil er, im Gegensatz zum Europäer, nicht so leicht seine Beziehung zum „Triebleben“ verliert, welches hier von Steiner als repräsentativ für die „lebhafte Ausbildung“ von dem genommen wird, „was mit dem Körper und mit dem Stoffwechsel zusammenhängt“. Steiner wertet das durchweg positiv. Eine ähnliche Konstitution spricht er im selben Vortrag auch den Amerikanern weißer Hautfarbe zu und wertet dies wiederum als vorteilhaft: „Es wird eben mehr durch den ganzen Menschen eingesehen. Das haben die Amerikaner dem Europäer voraus.“ Der Schwarze und der Amerikaner sind also schon dort innerlich Mensch, wo der Europäer dies erst entwickeln muß, indem er „im Geiste schafft“.
Unmittelbar anschließend an die umstrittenen Äußerungen über die verschiedenen Rassen verdeutlicht Steiner außerdem, wie er diese Ausführungen verstanden haben will: „Sehen Sie, meine Herren, alles dasjenige, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, das sind ja Dinge, die im Leibe des Menschen vor sich gehen. Die Seele und der Geist sind mehr oder weniger unabhängig davon.“
Daß eine solche Haltung alles andere als rassistisch ist, war im übrigen auch dem Reichssicherheitshauptamt klar, als es 1941 die prinzipielle Unvereinbarkeit von nationalsozialistischer Rassenlehre und Anthroposophie feststellte: „Die Anthroposophie steht im Widerspruch zur nationalsozialistischen Rassenlehre. Nach nationalsozialistischer Auffassung beziehen sich die rassischen Vererbungsgesetze nicht nur auf den Leib, sondern auf den ganzen Menschen, auch auf Geist und Seele. Die Anthroposophie erkennt ebenso wie die christliche Kirche im wesentlichen nur eine leibliche Vererbungslehre an, indem sie behauptet, daß lediglich der Leib des Menschen von den Eltern stammt, Geist und Seele aber aus dem Geisterreich in diesen Leib übersiedeln. Auf Grund dieser rein äußeren Rasseauffassung muß die Anthroposophie auch zu einer internationalen, pazifistischen Einstellung kommen.“
Steiner hat Differenzen in der Naturanlage zwischen Menschengruppierungen tatsächlich nicht geleugnet. Daraus leitet er aber keinen Rassismus ab, sondern im Gegenteil die Notwendigkeit einer symbiotischen Zusammenarbeit innerhalb einer multikulturellen Gesellschaft. Steiner in dem umstrittenen Arbeitervortrag: „Es ist einmal so beim Menschengeschlecht, daß die Menschen über die Erde hin eigentlich alle aufeinander angewiesen sind. Sie müssen einander helfen. Das ergibt sich schon aus der Naturanlage.“ Detlef Hardorp
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