: Geifernde Berichterstattung
■ betr.: „Wenig Fragen, dafür viele Antworten“, taz vom 29. 4. 97
Dickes Lob für und Freude über Bettina Gaus' Artikel über das „Beschneidungs-Hearing“ der Grünen in Bonn! Bettina Gaus hat vorsichtig und sachkundig die Position der Betroffenen wiedergegeben, von denen viele sich seit Jahren über geifernde Berichterstattung im Westen ärgern – ohne den beschnittenen Frauen dabei Menschenrechte abzusprechen und die Praktiken zu rechtfertigen. Eine klare und sachliche Position!
Da das – so entnehme ich dem Artikel – bei den meisten deutschen Feministinnen immer noch nicht angekommen ist, hier ein paar Zitate von Nahid Toubia. Die Sudanesin ist Ärztin, Chirurgin, Feministin und hat zahlreiche Arbeiten über Genitalverstümmelung von Frauen veröffentlicht.
„Der Westen hat sich benommen, als ob plötzlich eine gefährliche Epidemie entdeckt worden wäre, die sodann sensationslüstern auf internationalen Frauenkonferenzen diskutiert wurde. Damit haben sie nichts als Überempfindlichkeit (und damit einen Rückschlag für unsere Sache) in den betroffenen Ländern erzeugt. Sie haben Beschneidung als unwiderlegbaren Beweis des Barbarismus und der Vulgarität der unterentwickelten Staaten angesehen (...) und zum Beleg für die Primitivität aller Araber, Muslime und Afrikaner gemacht.“ Nahid Toubia erklärt, daß eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lasse, ihr nicht nur sämtliche Chancen auf eine Heirat und damit auf ein sozial geachtetes Leben nähme. Das Mädchen würde auch von Freundinnen und Familie ausgegrenzt. Die einzelne könne aber nicht gegen den Druck der gesamten Gruppe existieren; das sei der soziale Tod – auch unter Frauen! Der Ruf nach schärferen Gesetzen und Einhaltung der Menschenrechte allein ändert in diesem Zusammenhang gar nichts. Nahid Toubia folgert statt dessen: „Wir müssen die Gruppe überzeugen, daß die ganze Gesellschaft, nicht nur das Individuum davon profitiert, wenn Frauen nicht beschnitten werden.“
Das alles ist nicht neu – so haben nicht nur die Betroffenen in Bonn argumentiert; Nahid Toubia hat ihren Vortrag bereits auf der ersten Konferenz der Arab Women's Solidarity Association (AWSA) im September 1986 in Kairo gehalten. Die Aufsätze liegen auf englisch in Buchform vor (Nahid Toubia hat sie herausgegeben) – frau kann diese Zusammenhänge seit über zehn Jahren nachlesen. Warum also die schockierte Attitüde der „deutschen Expertinnen“? Beate Hinrichs, Köln
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