piwik no script img

Elefanten als Devisenbringer

Nationalparks gibt es in Kenia seit 50 Jahren. Daß die Tierwelt erhalten geblieben ist, grenzt an ein Wunder. Von Ökotourismus sollen auch Bauern profitieren  ■ Von Hartmut Fiebig und Dominique Wirz

Im Tierpark von Nairobi ist fast alles anders als in den Zoos der herkömmlichen Art. Hier werden keine Tiere gefüttert, denn die sorgen für sich selbst. In Gefangenschaft befindet sich der Besucher, der nur an Picknickplätzen seinen rollenden Käfig verlassen darf. Giraffe und Gnu, Leopard und Löwe hingegen haben Vorfahrt. Auf 117 Quadratkilometern des Stadtgebietes erstreckt sich, was als der größte Zoo der Welt bezeichnet werden könnte. Mehr als 400 Vogelarten und über hundert verschiedene Säugetiere sind hier zu beobachten, darunter die seltenen Geparden und 65 Exemplare des vom Aussterben bedrohten Spitzmaulnashorns.

Für alle mit mehr als zwei Beinen ist der Eintritt frei, denn nach Süden, zur Massai-Steppe hin, gibt es keinerlei Begrenzung für die umherziehenden Tiere. Im Norden schützt ein elektrischer Zaun die Stadt vor Besuch aus dem Busch. Es kommt aber durchaus vor, daß ein Löwe die Barriere überwindet, um dann die Straßen des nahen Stadtviertels Karen unsicher zu machen. Und wer am frühen Morgen mit dem Flugzeug auf dem Jomo Kenyatta International Airport gelandet ist, hat auf seinem Weg in die City gute Chancen, am Rand der vierspurigen Stadtautobahn im Gegenlicht die unverwechselbare Silhouette von Giraffen zu sehen.

Tierschutz gegen alle Interessen

Daß die reiche Tierwelt Ostafrikas bei der Ankunft der weißen Kolonialherren nicht ebenso auf der Strecke blieb wie der Bison in Nordamerika, erscheint im nachhinein wie ein kleines Wunder. In den Augen von Sport- und Berufsjägern nichts als Freiwild, für die weißen Farmer nur Schädlinge und Konkurrenten, die es auszumerzen galt – die Tiere gerieten von allen Seiten unter Beschuß.

Innerhalb der Kolonialregierung herrschte die Meinung vor, man solle lieber der wachsenden Bevölkerung Ackerland verschaffen und die afrikanische Landwirtschaft fördern, anstatt große Landflächen dem Tierschutz vorzubehalten, was keinerlei Einnahmen versprach. Mit der wachsenden Verbreitung von Gewehren gab auch die einheimische Bevölkerung die schonende Wildtiernutzung auf, die sie über Jahrhunderte hinweg praktiziert hatte.

Demgegenüber bestand die Naturschutzlobby nur aus wenigen Engagierten. Kaum einer der jährlich 160.000 Besucher des Nairobi Nationalparks wird wissen, daß ohne den unermüdlichen Kampf von Capitain Archie Ritchie, oberster Wildhüter der Kolonie seit 1923, und Mervyn Cowie, später der erste Direktor der kenianischen Nationalparks, während der dreißiger und vierziger Jahre wohl niemals ein Nationalpark in Ostafrika entstanden wäre. Eine erfolgreiche Verzögerungstaktik der Schutzgebietsgegner und andere unvorhersehbare Probleme drohten das Projekt immer wieder zu Fall zu bringen. Erst durch eine gewagte Pressekampagne dieser beiden Männer wurde der Druck aus der Öffentlichkeit so groß, daß die Verwaltung konkrete Schritte einleitete, um aus städtischen Liegenschaften den Nairobi Nationalpark zu formen.

Die Befürworter, die sich endlich am Ziel wähnten, hatten sich jedoch getäuscht. Wieder gab es einen Rückschlag: Der Zweite Weltkrieg kam, das Gebiet wurde kurzerhand zum Truppenübungsgelände umbestimmt, und Tiere, die eigentlich Schutz genießen sollten, wanderten in die Gulaschkanonen.

Sieben Jahre später, nach Kriegsende, war es dann endlich soweit: Weihnachten 1946 wurde der Nairobi Nationalpark als erster ostafrikanischer Nationalpark ins Leben gerufen – eine schwere Geburt. Selbst die Väter dieses Kindes ahnten noch nicht, welch turbulente Entwicklung sie damit losgetreten hatten... Exakt drei Angestellte, die in einem Zimmer über einer Garage hausten – das war der Anfang der Organisation. Heute sind rund 4.000 Menschen damit beschäftigt, 26 Nationalparks und 30 Wildreservate mit einer Gesamtfläche von 45.000 Quadratkilometern zu betreuen. Das entspricht fast acht Prozent der Landesfläche von Kenia.

In rascher Folge wurden weitere Nationalparks deklariert – Tsavo 1948, Mount Kenya 1949 und Aberdares 1950. Doch während der Kolonialzeit blieb der Naturschutz ein rein weißes Anliegen. Für die afrikanische Bevölkerung bedeuteten die riesigen Schutzgebiete lediglich einen Verlust – an Jagdgründen, Weideflächen, Brennholzreserven und Wasserstellen, dem kein Nutzen gegenüberstand. Denn von den Einkünften des beginnenden Tourismus profitierten nur Regierung und Reiseveranstalter.

Für Afrikaner ein Verlustgeschäft

Am 12. Dezember 1963 wurde Kenia unabhängig. Die Regierung unter Jomo Kenyatta war mit dem erklärten Ziel angetreten, die Lebensverhältnisse der afrikanischen Bevölkerung Kenias zu verbessern. Besonders die vielen landlosen Wanderarbeiter sollten mit eigenem Grund und Boden versorgt werden. Die Befürchtung der Naturschützer, daß durch diese Prioritäten die Existenz der Nationalparks – der größten Landreserve des jungen Staates – gefährdet sei, erwies sich als unbegründet. Im Gegenteil: In den ersten fünf Jahren nach 1963 wurden neun neue Gebiete unter Schutz gestellt. Allmählich zeichnete sich ab, daß der Tourismus eine namhafte Einnahmequelle für Kenia werden könnte, und konsequenterweise wurde ein eigenes Tourismusministerium eingerichtet. Die Menschen in der Nachbarschaft zu den Nationalparks und Wildreservaten profitierten davon freilich genauso wenig wie zuvor.

Die größte Gefahr sind Wildererbanden

Ab Anfang der siebziger Jahre nahm die Wilderei in Kenia verheerende Ausmaße an. Die Behörden schienen weder gewillt noch fähig, das Abschlachten der Tierbestände einzudämmen. Die Beamten der Wildschutzbehörde und die Parkwächter waren schlecht bezahlt und unmotiviert. Das Jagdlizenzsystem brach zusammen, und es gab keine Kontrolle mehr darüber, wer eine Zulassung als Berufsjäger erwarb. Auch ein totales Jagdverbot, das 1977 ausgesprochen wurde, konnte die Katastrophe nicht mehr abwenden. Feuerwaffen waren durch die Konflikte in den Nachbarländern leicht verfügbar und billig. Die Preise für Elfenbein und Rhinohorn hingegen explodierten. Die enormen Profite lockten organisierte Wildererbanden an, die mit automatischen Waffen, Jeeps und Flugzeugen ausgerüstet waren.

Innerhalb von 20 Jahren wurde Kenias Nashornpopulation von 20.000 auf 350 Tiere zusammengeschossen. Auch den Elefanten drohte das Schicksal der Ausrottung. Von ehemals 120.000 hatten weniger als 20.000 der grauen Riesen die makabre Verarbeitung zu Papierkörben, Brieföffnern, Billardkugeln und Klaviertasten überlebt.

Einschneidende Änderungen der Lage kündigten sich erst an, als Doktor Richard Leakey, einer der Söhne des berühmten Anthropologen-Ehepaares Mary und Louis Leakey, Direktor des Wildlife Departments wurde. Auf sein Betreiben hin wurde 1990 der Kenya Wildlife Service (KWS) als Treuhänder der kenianischen Naturschutzbelange ins Leben gerufen, eine eigenständige Organisation, die weitgehend regierungsunabhängig arbeitet und einen eigenen Finanzhaushalt besitzt.

Es begann ein gnadenloser Kampf gegen die Wilderei mit einer straff geführten paramilitärischen Truppe, professionell ausgebildet und ausgerüstet, der schnell Erfolge zeitigte. Leakey war wegen seiner drastischen Maßnahmen sehr umstritten und traf 1994 nach schweren Angriffen von seinem Posten zurück. Wenn die erfolgreiche Bekämpfung der Wilderei auch keine dauerhafte Lösung des Problems bedeutete, so bewirkte sie doch einen wichtigen Zeitgewinn. Und der wurde vom KWS gut genutzt, um eine längst überfällige Korrektur der Naturschutzpolitik vorzunehmen.

Bevölkerungsanstieg bedroht Reservate

Die 30 Millionen Menschen Kenias vermehren sich schneller als die Bevölkerung jedes anderen Landes der Erde. Vier Prozent jährlich beträgt ihr Zuwachs, in zwei Jahrzehnten wird es über 60 Millionen Kenianer geben. Mehr Menschen benötigen mehr Ackerland, zumal in einem Staat, dessen Agrarsektor bei weitem die meisten Arbeitskräfte beschäftigt und den größten Teil des Bruttoinlandsproduktes produziert.

Neueren Erkenntnissen zufolge leben 75 Prozent der Wildtiere Kenias zumindest saisonal außerhalb der Schutzgebiete. Vor dem Hintergrund der Bevölkerungsexplosion erscheint schon der Gedanke, weitere große Flächen zu Nationalparks zu erklären, zum Beispiel um die saisonalen Tierwanderungen in Zukunft abzusichern, so schwer wie die Quadratur des (Tier-)Kreises. Millionen von Menschen müßten umgesiedelt werden, wollte man das Rad der Geschichte zurückdrehen, was – vom Landmangel einmal abgesehen – schon aus politischen und wirtschaftlichen Gründen undurchführbar wäre. Den größten Teil der kenianischen Tierwelt dauerhaft innerhalb der Nationalparks zu schützen, ist also nicht möglich.

Neue Einnahmequelle für Bauern

Das hat zu einem gründlichen Umdenken bei den Naturschützern geführt. Anstatt wie seit fünfzig Jahren die Wildtiere soweit wie möglich durch Schutzgebiete räumlich von Siedlungen zu trennen, sollen nun die Menschen von „ihren“ Wildtieren im Dorfgebiet profitieren und sich selbst für deren Schutz engagieren. Deshalb propagiert der KWS die Einrichtung von weiteren Naturschutz- und Jagdgebieten auf kommunaler Ebene. Sämtliche Entscheidungskompetenz verbleibt beim Dorf, der KWS hilft nur bei der Ausbildung lokaler Wildhüter, der Entwicklung und dem Marketing eines Ökotourismus auf dörflicher Ebene. Das soll sicherstellen, daß die Einnahmen wirklich den Betroffenen zugute kommen, denen dadurch der Schutz des Ökosystems zum eigensten Anliegen wird. Die Idee besticht. Wer schon einmal eine Plantage gesehen hat, die von einer marodierenden Elefantenherde in nur einer Nacht „umgepflügt“ wurde, weiß, daß der betroffene Bauer für den Elefantenschutz nicht zu gewinnen sein wird – es sei denn, die Anwesenheit der Dickhäuter verschafft ihm eine andere Einnahmequelle, die seine Verluste zumindest wieder wettmacht. Erste praktische Erfahrungen und das große Interesse von Gemeinden im ganzen Land nährt die Hoffnung, auf dem richtigen Weg zu sein.

Der Kenya Wildlife Service befindet sich derzeit noch in einer Zwickmühle: Einerseits beschäftigt die Tourismusindustrie 18 Prozent der Arbeitskräfte und erwirtschaftet jährlich rund 500 Millionen US-Dollar – die volkswirtschaftliche Rechtfertigung für die großen Nationalparks. Andererseits sind die Umweltschäden durch die Konzentration des Tourismus auf einige Küstenabschnitte und wenige Nationalparks gravierend.

Die neue Hoffnung ist deshalb der Ökotourismus: weg vom traditionellen Gamedriving und Strandurlaub, hin zu Vogelbeobachtungen, Bergsteigen, Wandern, Fahrradfahren, Kamel- und Walkingsafaris. Zudem soll die Entwicklung des riesigen touristischen Potentials in abgelegeneren Gebieten neue Einkommen erschließen. Und die gleichmäßige Verteilung der Touristenströme über ganz Kenia könnte helfen, die negativen Auswirkungen an den Brennpunkten zu verringern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen