■ Ökolumne
: Die Mehrheit am Buffet abholen Von K.-P. Klingelschmitt

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre mit Stammsitz in Köln ist ein agiler eingetragener Verein. Keine Hauptversammlung deutschstämmiger Konzerne mehr ohne die alternativen VertreterInnen der AnteilseignerInnen. Ob Hoechst, Bayer oder Veba, ob Siemens oder RWE: Die „Kritischen“, wie sie inzwischen kurz genannt werden, dominieren die Hauptversammlungen (HV), wenn sie sich wortgewaltig gegen die Entlastung von Vorständen und Aufsichtsräten wenden. Und die „Kritischen“ haben an Einfluß auf ohnehin schon sensibilisierte Aktionäre und Aktionärinnen gewonnen. Sie können schon einmal ein ihnen übertragenes Aktienpaket im Wert von zwei Millionen Mark (200.000 Aktien) vorweisen, das ihnen von einer kritischen Erbengemeinschaft überlassen wurde. Satte 17 von 25 Tagesordnungspunkten auf der HV der Dresdner Bank gehörten in diesem Jahr den „Kritischen“.

Doch wie hat der Dachverband diese (Rede-)Macht genutzt? Indem seine VertreterInnen genau das vortrugen, was genervte Vorstände, Aufsichtsräte und Aktionäre an Redebeiträgen erwarten: „Schweinereien“ wurden aufgedeckt und angeprangert, die paritätische Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat eingefordert und Vorstand und Aufsichtsrat aufgefordert, die Konzernpolitik zukünftig an ökologischen und sozialen Maximen auszurichten.

Daß bei ihren Wortbeiträgen die meisten Aktionäre und Aktionärinnen ihre Freßbeutel plündern oder die Toiletten aufsuchen, ficht die „Kritischen“ nicht an. Und offenbar auch nicht, daß die WirtschaftsjournalistInnen bei ihren Reden die Füllfederhalter zuschrauben und sich den üppigen Buffets zuwenden. Tausendmal berührt – und tausendmal ist nix passiert.

Die „Kritischen“ gelten als inkompetent, was ökonomische und für die Konzernentwicklung relevante Fragen anbelangt – und inzwischen auch als Langweiler. Daß gerade der Chef der Dresdner Bank, Jürgen Sarrazin, nebulös Maßnahmen gegen die „Kritischen“ angekündigt hat, ist da kein Gegenbeweis. Dem Vorstandsvorsitzenden graute schon am Vormittag vor einer bis in die Abendstunden hinein verlängerten Hauptversammlung. Gewitter können sich auch stundenlang hinziehen. Solange sich die „Kritischen“ auf die Rolle der larmoyanten AnklägerInnen beschränken, werden sie mit den ihnen anvertrauten Pfunden nicht wuchern und den Kreis der Aktionäre und Aktionärinnen, die ihr Unternehmen auch mit kritischen Augen betrachten, nicht vergrößern können. Wer die Aktionäre und Aktionärinnen, die noch ausschließlich an ihrem value interessiert sind, schlicht ignoriert und deren Interessenvertretung den konventionellen Schutzgemeinschaften der WertpapierbesitzerInnen überläßt, braucht sich über mangelden Einfluß auf die Politik der Konzerne nicht zu beklagen.

Auch die normalen AnteilseignerInnen sind nicht nur dividendenhungrige Raffkes und AnbeterInnen der Politik der Vorstandsvorsitzenden. Deshalb wollen sie nicht mit Arroganz und Verachtung abgestraft werden, sondern vielleicht sogar abgeholt werden. Eine Demonstration von Kompetenz durch die „Kritischen“ auch was monetäre und konzernpolitische Fragen anbelangt, wäre für die Sensibilisierung bislang resistenter AktionärInnen in ökologischen und sozialen Fragen sicher hilfreich – und ein orgineller Beitrag zur Entwicklung der Aktienkultur in Deutschland.