: Links, wo der Schmerz ist
40 Jahre „konkret“: Hermann L. Gremliza regiert schon über 20 Jahre. Aber wichtig war die Zeitschrift nur vor ihm: bei Klaus Rainer Röhl samt Ulrike Meinhof und Peter Rühmkorf ■ Von Willi Winkler
Aus Danzig kam er, besuchte die gleiche Schule wie Günter Grass und Oskar Matzerath und wurde wie sie im Westen Dichter (Frühwerk, sog. „lineare Lyrik“, ziemlich verschollen). Ein Rainer macht noch keinen Rilke, aber wenigstens einen Röhl.
Klaus Rainer Röhl, ohne den geht's nicht. In dem von seinem Nachfolger Hermann L. Gremliza herausgegebenen Sammelband „Vorwärts! Nieder! Hoch! Nie wieder! 40 Jahre KONKRET. Eine linke deutsche Geschichte 1957–1997“ (Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1997, 312 Seiten, 39 Mark) ist Röhls Rolle zwar denkbar miniaturisiert, aber es muß eine schöne Zeit gewesen sein. Röhl gründete 1955 Das Plädoyer, aus dem der Studentenkurier wurde und im Herbst 1957 schließlichg konkret. So sollte doch die Wahrheit sein, und weil movens die deutschen Exis antrieb, die zwischen Max Bense und Gottfried Benn schwarmgeisterten, schrieb man sich auch noch klein.
Es ist für uns ewig Nachgeborene kaum mehr zu rekonstruieren, aber Röhl muß der Helmut Markwort der Info-Elite von 1960ff. gewesen sein. Zur Seite stand ihm mit mindestens drei Pseudonymen der Nachwuchsgermanist Peter Rühmkorf, der eben von einem Hamburger Ordinarius durchs Examen geworfen wurde. Rühmkorf dichtete natürlich auch, aber noch besser war er, wenn er als Leslie Meier seinen „Lyrik- Schlachthof“ eröffnete und von Lehmann bis Härtling alles kurzundkleinmetzgerte, was damals so geschätzt wurde. Ziemlich allein in Deutschland bekämpften Rühmkorf und Röhl Wiederbewaffnung und Atomtod, Adenauer und Eisenhower, und priesen nimmermüd Hans Henny Jahnn1 und Arno Schmidt. Den gab es damals noch nicht haffmanskistenweis bei Wohlthat's Buchversand, der ließ sich daher willig loben, lobte auch heftig zurück und nannte den Studentenkurier in einer Erzählung die beste deutsche Zeitschrift. Bei konkret wenigstens verstanden sie ihn und brachten seine „Kühe in Halbtrauer“ im Vorabdruck.
Aber auch eine Zeitschrift, die hauptberuflich dagegen ist, schon gar wenn sie die Bundesrepublik als „dezente Diktatur“ (Rühmkorf) bezeichnet, braucht Geld. Irgendwann Ende der 50er fuhr Röhl zur politischen Fortbildung nach Ostberlin, trat in die illegale KPD ein und ließ sich fortan von der Ostzone finanzieren. Bei einer Werbeveranstaltung hatte Röhl die studentische Aktivistin und Friedenskämpferin Ulrike Meinhof entdeckt und sie zu konkret geholt. Sie wurde seine Chefredakteurin und seine Frau, mußte mit in die KPD und die DDR und machte konkret zu einem politischen Magazin, das man lesen mußte. Sie brachte jenes stählerne Pathos zuwege, über das auch Rudolf Augstein gern geboten hätte: „Wie wir unsere Eltern nach Hitler fragen, so werden wir eines Tages nach Herrn Strauß gefragt werden.“2 Die Hamburger Kollegen feierten ihre Ulrike und verehrten sie für ihre Radikalität, aber die Staatsanwaltschaft oder jedenfalls Franz Josef Strauß schlug 1962 beim Spiegel zu und nicht bei konkret.
Erst 1964 verzichtete man auf die Subvention aus Ostberlin, und Rühmkorf riet Freund Röhl, „nicht weiter links am Lustprinzip vorbeizusegeln“. Lang vor Stern und Quick gab konkret den Blick frei auf käsige, manchmal rosane Freischwinger, denn Titten waren fortschrittlich und Waffe im Klassenkampf. Die Auflage stieg von 30.000 auf 100.000. Der Kampf ging weiter.
Ulrike Meinhof bekam Zwillinge und wurde Kolumnistin, Partygast und Sylt-Habitué; Hamburg eben. Als Röhl zuviel herumvögelte, verließ sie ihn, ging nach Berlin und dann in den Untergrund. Vorher schickte sie ihrem Geschiedenen noch ein Rollkommando nach Haus (ach, Hillu!). Röhl auf einer letzten Podiumsdiskussion Ende 1968 mit ihr: Protestmärsche nützten nichts, aber ein einzelner Stein sei „ein schlagendes Argument“. Bald danach verlor er die Gewalt über seine Zeitung. Wieder mit ideologischer Nachhilfe Rühmkorfs gründete der vertriebene Röhl ein semipolitisches Wichsblatt namens das da. Das gute alte konkret aber kam in die Hand von Hermann L. Gremliza; eine Zeitlang war auch Manfred Bissinger dabei.
Gremliza hat, wie es heißt, ein väterliches Vermögen für die Zeitschrift geopfert, und auch Reemtsma soll eine Zeitlang sehr spendabel gewesen sein. Doch selbst wenn Gremliza schon mehr als die halbe Laufzeit regiert, von Bedeutung war konkret nur vor ihm, bei Röhl samt Gattin und Rühmkorf. Die ganze Dritte Welt trat da auf, Ben Bella, N'Krumah und Dom Helder Camara, dazu alles, was damals von Robert Neumann bis Heinrich Böll links und gut war, mancher darunter, der damals auch links war, Henryk M. Broder zettbe oder Daniel Cohn- Bendit, und dafür heute ein bißchen arg untot herumirrt und dreimal täglich mit den Linken abrechnen muß.
Andererseits: Horst Tomayer und seine „Deutschen Gespräche“ mit Ernst Jünger oder Franz Schönhuber! Und Gremlizas Kolumne „Expreß“: Niemand in ganz Deutschland frißt sich so aufopferungsvoll durch den ganzen Pressemüll, hält Monat für Monat die schönste Theo-Sommer-Katachrese [= Bildbruch?] hoch oder widmet sich bei der Hamburger Morgenpost derart liebevoll einem „Mega-Mops, der auf den Namen Thomas Schmid hört“. Zum Karl Kraus langt es deshalb noch nicht, aber wo außer in „Gremlizas Expreß“ gäbe es in diesem klinisch humorfreien Heft etwas zu lachen? Das wieder sexfreie konkret ist ein sektiererisches Organ geworden, das fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor sich hin pumpt und macht und tut. Schade eigentlich. Früher war alles besser, auch konkret. Früher, das heißt bei Röhl.
Niemand könne Bellmann-Lieder so schön vortragen wie Röhl, versichert Harry Rowohlt. Aber weil das auch nicht abendfüllend ist, hat der frühere Ost-Agent Röhl inzwischen bei Ernst Nolte promoviert und schreibt mindestens einmal im Jahr ein Buch über „Linke Lebenslügen“. So grausam kann sie sein, die Rache der alten DDR.
Siehe auch Seite 16
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