: Die Stadt in einen Teufelskreis gewirtschaftet
■ Die Koalition bringt die nötigen Einsparungen nicht zustande, meint die Finanzexpertin der Bündnisgrünen, Michaele Schreyer. Ein Viertel des 98er Etats künstlich gedeckt
taz: Die Ausgaben Berlins sollen 1998 weiter sinken. Der Senat konnte die Pleite der Stadt also abwenden?
Michaele Schreyer: Nein. Der Senat betreibt Zahlenakrobatik über dem Abgrund. Nach wie vor sind Berlins Ausgaben viel höher als der Bundesdurchschnitt, die eigenen Einnahmen aber viel niedriger. Trotzdem bringt die große Koalition bei den großen Etatbrocken nicht die notwendigen Einsparungen zustande. Etwa bei der Eigenheimförderung. 430 Millionen Mark im nächsten Jahr für die Eigenheimförderung, das ist der Suizid für alle Konsolidierungsbemühungen.
Das ist der dritte Sparetat seit dem Kassensturz der Finanzsenatorin 1996. Ist denn wenigstens ein Umsteuern zur finanziellen Konsolidierung erkennbar?
In der letzten Legislaturperiode wurden die Haushaltslöcher durch Verschuldung gestopft. Das reicht aber nicht mehr. Seit der Neuauflage der Koalition heißt der kleinste gemeinsame Nenner: Verschulden plus Verscherbeln. Zehn Prozent der Landesausgaben sollen im nächsten Jahr durch neue Kredite, weitere fünfzehn Prozent durch Vermögensverkäufe bezahlt werden. Das heißt: Ein Viertel der Ausgaben wird nicht durch die laufenden Einnahmen gedeckt. Die strukturelle Lücke ist nicht einmal auf dem Papier kleiner geworden.
Jeder Etat steht und fällt mit den sogenannten Haushaltsrisiken. Wo verstecken die sich Ihrer Ansicht nach in diesem Etatentwurf?
Auf der Einnahmeseite sind das die Vermögenserlöse, die vom Koalitionsausschuß und vom Senat als Hausnummer beschlossen wurden. Und wie üblich sind die Steuereinnahmen höher veranschlagt, als sie tatsächlich fließen. Auf der Ausgabenseite wurden die Einsparungen beim Personal verbucht, die durch Bundesratsinitiativen – die ich im übrigen als Lohnkürzungen ablehne – erreicht werden sollen. Das sind Luftbuchungen. Zudem wurden pauschale Minderausgaben beschlossen, für die die einzelnen SenatorInnen erst noch darlegen müssen, bei welchen Maßnahmen sie erbracht werden sollen.
Heißt das, daß das Berlinbudget auch nach wochenlangen Chefgesprächen noch nicht fertig ist?
Ja. Wie jedes Jahr wird der Haushaltsausschuß des Abgeordnetenhauses über Zahlen beraten, die intern in den Senatsverwaltungen durch die berühmten Nachschiebelisten schon wieder geändert werden. Das hat mit ordentlicher Haushaltsberatung nichts mehr zu tun. Das ist systematische Chaotisierung.
Der 98er Etat soll ein Haushalt für die Jugend sein. Wo verbessert der neue Finanzrahmen die Situation an den Schulen, wo gibt er begründete Hoffnung auf Lehrstellen für Schulabgänger oder schafft Jobs für Hochschulabsolventen?
Fakt ist: Im regulären Etat hat die Jugend keinen Platz gefunden. Dringende Maßnahmen für die Jugend lagert der Senat aus in die Hände der Lottospieler. Das sagt eine Menge über die Prioritätensetzung der großen Koalition aus. Und Verschuldung und Verscherbelung von Vermögen bedeutet, daß der nächsten Generation ein gewachsener Schuldenberg und gleichzeitig weniger Vermögen hinterlassen wird. Das ist die bittere Wahrheit, die auch durch irgendwelche Phrasen nicht verschleiert werden kann. Welche bösen Überraschungen der Etatentwurf noch beinhaltet, wird sich zeigen. Das konkrete Haushaltsbuch wird den Abgeordneten ja erst in vier Wochen vorgelegt.
Seit Jahren kritisieren die Bündnisgrünen, daß der Etat verfassungswidrig ist. Wie sieht es 1998 aus?
Auch im nächsten Jahr wird die Neuverschuldung höher sein als die eigenfinanzierten Investitionen. Das bedeutet den fortgesetzten Verfassungsbruch.
Wie lautet Ihre politische Bewertung des Berlinbudgets für 1998?
Die große Koalition hat Berlin in einen Teufelskreis gewirtschaftet. Jetzt werden Stellen abgebaut – in der Verwaltung genau wie in den Unis oder in Sozial-, Kultur- und Frauenprojekten –, um die Rechnungen für Zinsen und Investitionen in Beton zu bezahlen. Und der Senat reagiert mit neuer Verschuldung und immer größeren Vermögensverkäufen. Damit wird Berlin im Sauseschritt ärmer, aber die Haushaltsnöte nicht kleiner. Jeder neue Haushalt zeigt auf, daß die große Koalition vor den Problemen kapituliert. Interview: Christian Füller
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