: Die letzte Reise der Mutter Teresa
Die Nobelpreisträgerin wurde am Samstag in Kalkutta mit einem Staatsakt beigesetzt. Die Armen und Kranken, denen sie ihr Leben gewidmet hatte, waren bei der Beerdigung weitgehend ausgeschlossen ■ Von Rainer Hörig
Pune (taz) – Mit militärischen Ehren und einer multireligiösen Trauerfeier erwies Indien am Samstag Mutter Teresa die letzte Ehre. In einem offenen Sarg, umhüllt von der dreifarbigen Nationalflagge, trat die am Freitag vor einer Woche gestorbene Nobelpreisträgerin ihre letzte Reise an. In Kalkuttas Zentrum standen Hunderttausende an der Straße, als der Sarg auf einer Lafette, die vor fast 50 Jahren auch Mahatma Gandhi zur letzten Ruhestätte getragen hatte, von einem Militärfahrzeug vorbeigezogen wurde.
Am Gottesdienst vor 15.000 Menschen in der größten Sporthalle der Stadt nahmen die indische Staatsspitze und Vertreter von über vierzig Nationen teil. Sie legten am Sarg der im Alter von 87 Jahren verstorbenen Ordensschwester Kränze nieder. Deutschland war durch Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/ Die Grünen) vertreten.
Der Abgesandte des Papstes, Kardinal Angelo Sodano, würdigte Leben und Wirken der Verstorbenen und nahm sie gegen Kritik in Schutz. An die Trauergemeinde appellierte er, das Werk Mutter Teresas fortzuführen. Auch Geistliche der Hindus, Muslime, Buddhisten und Parsen beteten für die Verstorbene. Anschließend fuhr der Beerdigungszug zum Hauptsitz der „Missionarinnen der Nächstenliebe“, wo Mutter Teresa unter Ausschluß der Öffentlichkeit beigesetzt wurde.
Die 12-Millionen-Stadt Kalkutta war im Ausnahmezustand. Zahlreiche Straßensperren hielten das Verkehrschaos von der Trauergemeinde und den TV-Kameras fern. Hunderttausende waren ins Zentrum geströmt, um einen letzten Blick auf die Tote zu erhaschen, aber sie wurden von massiven Polizeikräften mit Bambusbarrieren zurückgehalten. Die Regierung hatte sich gegen den Orden durchgesetzt, der für ein schlichtes, aber volksnahes Begräbnis plädiert hatte. Uniformierte traten während des Gottesdienstes zwar kaum in Erscheinung, doch auf den Straßen herrschte militärisches Protokoll auf höchster Sicherheitsstufe.
Dank der Armee gelang der Regierung, der Welt ein aufgeräumt friedliches Bild von Kalkutta zu präsentieren. Die Imagepflege schien wichtig, um Bedenken ausländischer Investoren zu zerstreuen und gute Stimmung für Indiens Wunsch auf einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat zu schaffen. Doch die Sicherheitsmaßnahmen verhinderten auch, daß jene Menschen, denen Mutter Teresa ihr Leben gewidmet hatte, überhaupt in Erscheinung traten. Nur einige Schützlinge des Ordens durften während der Messe dem Abgesandten des Papstes symbolische Geschenke überreichen. Einige Minuten lang gelang es der Menge, die Barrikaden zu durchbrechen und den Sarg im Laufschritt zu begleiten. In den Wohnvierteln nahmen die Menschen auf ihre Weise Abschied. An Straßenecken und auf Plätzen errichteten sie winzige Schreine mit dem Bild ihrer „Mutter“. Dort konnten auch die Armen nach Landessitte Kerzen, Blumen oder Räucherstäbchen opfern.
In der Trauer verschmolzen die Glaubensbekenntnisse. Auch Hindus, Buddhisten, Muslime und Sikhs verehrten die kleine Nonne als Heilige, weil sie das Wohl der Armen und Kranken über eigene Interessen stellte. Anders als im westlichen Ausland ist Mutter Teresa in Indien keine kontroverse Figur. Hier gibt es keine Diskussion um Abtreibung und Verhütungsmittel. Beide sind gesetzlich vollkommen freigegeben. Konservative Moralisten treten auch in anderen Glaubensgemeinschaften auf. Höchstens ein Prozent der 950-Millionen-Bevölkerung fühlen sich an die Edikte des Papstes gebunden. Und der Vorwurf, Teresas Arbeit trage nicht zur Beseitigung der Armut bei, trat gegenüber der Anerkennung ihrer menschlichen Stärke in den Hintergrund. Schließlich vermochte nicht einmal die Kommunistische Partei, die den Unionsstaat West- Bengalen seit 20 Jahren regiert, die Armut aus Kalkutta zu verbannen.
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