: Die Logik der Gesten statt Gesten der Logik
■ Innovatives Tanztheater aus Spanien...und Israel beim Theaterfestival in Oldenburg
Übers Jahr hinweg versteht sich die Kulturetage Oldenburg über weite Strecken als Dienstleister in Sachen Kultur: Gezeigt wird, was gefällt, also Kabarett und viel Musik. Zwischendurch aber reiten die Programmacher ihr Steckenpferd, leisten sich jenes Quentchen unverzichtbaren Irrsinn, der die alltägliche ökonomische Vernunft erträglich macht. Sie stöbern an allen möglichen und unmöglichen Ecken der Welt innovative Tanztheaterprojekte auf und zeigen sie in der Kleinstadt. Die Oldenburger danken's mit unkalkulierbarem, aber akzeptablem Zuspruch: Der Name „La Fura del Baus“, mit dem jüngst immerhin Daimler Benz seine neue A-Klasse schmückte, läßt die Oldenburger eher kalt. Zum israelischen Tanztheater von Liat Dror und Nir Ben Gal aber strömen sie zuhauf – und applaudieren wie die Wilden. Zu Recht.
Der La Fura-Veteran mit dem uneinprägbaren Namen Marcel.li Antùnez Roca bringt in bescheidenen 30 Minuten eine wunderbare Überwältigung aller Sinne zustande. Seine Performance „Epizoo“badet in Anspielungen auf kollektive Gelüste und Ängste: Die Kontrolle des Menschen durch die Maschine und – oft noch ekliger – den Mitmenschen, die Mutation des Kulturmenschen zum Schwein, das Hervorbrechen des Animalischen. Angenehmerweise spielt der Veteran mit diesen starken Themen in ebenso starken Bildern, enthält sich aber einer Tendenz. So dämlich, irgendwen vor irgendjemandem zu warnen, ist er nicht. Schließlich haben wir „1984“überstanden.
Eine leuchtende Videoleinwand zeigt unter dem akustischen Bombardement halb martialischer, halb techno-seliger Geräusche einen strammes, vitales Riesenbaby, das unschuldig in einem struppigen Haarnest schlummert, ein Ei aus surrealer Körperöffnung gebiert, frech-faunisch mit der Zunge bleckt und Grimassen schneidet. Dahinter erstrecken sich in unermeßlichen Weiten Himmel, Feuer, Felsen mit magischen Türöffnungen und Wasser. Die Atmosphäre – universal: komisch, aber auch kosmisch, metaphysisch, schräg, widerlich, romantisch, kraftvoll. Die Virtualität dieser Bilder wird durch den Veteran himself aufgehoben. Soweit wie möglich realisiert er das unwirkliche Geschehen auf der Leinwand vor der Leinwand. Maschinen, die ihm an Hintern, Brust, Mund und Nase zupfen, veranschaulichen das metamorphotische Geschehen dahinter: Dort explodiert ein Kopf kreativ – und prompt fängt live ein Bunsenbrenner auf dem Schädel des Veterans zu züngeln an. Geniale Zweigleisigkeit, überzeugende gegenseitige Verstärkung von Video und Realität. Selten waren Exzessivität und Gaudi so nahe beieinander.
Wie Tomi Ungerer mit seinen Sexmaschinen entführt uns der Veteran in eine Welt, wo Ausgeliefertsein auch stark und schön ist. Gerne spielt das Publikum Marionettenspieler und bewegt via Maus-Klick die Apparatur an des Veteranen Körper. Irgendwie gemein, irgendwie erotisch – und schon sind wir beim zweiten Stück des Abends.
Die israelische Company interessiert sich für die Analogie von Privatheit und Politik:In ihrem Episoden- oder Collage-Stück zeigen die Tanzamateure das Kippen von Beziehungen: Zärtliche Liebesrangeleien mutieren mit der Logik schleichender Unauffälligkeit zu tödlichen Kämpfen; Folterer pendeln zwischen Fürsorge und hemmungslosem Zuschlagen. So flüchtig und assoziativ jede Szene, postuliert das Stück Interrogation eine klare These :Was da draußen in der Politik, auf den Polizeirevieren, in den Bürgerkriegen stattfindet, ist nichts anderes als die Widerspiegelung ganz privater Begegnungen zwischen Mann und Frau, zwischen Kumpels, auf Festen. Statt Geschichten zu erzählen, macht sich dieses Tanztheater auf die Suche nach universalen Mustern menschlichen Verhaltens. Es entdeckt Gemeinsamkeiten zwischen dem Tanz der Einsamen und dem Winden der Gefolterten. Dieses genaue Lauschen auf die Logik von Gesten jenseits der realistischen Erzählung kann nur der Tanz leisten. Deshalb ist den Organisatoren zu danken. Ach ja: Die Autofahrt von Bremen nach Oldenburg dauert gerade mal 30 Minuten. Es lohnt sich! bk
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