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Kleiner Satz mit großer Wirkung

■ Der Innensenator will erneut die Bezirke austricksen. Statt die Rechte der Bezirksverordneten zu regeln, beseitigt er die Kontrollrechte der Kiezparlamente

Sie gelten als die Schule der Demokratie. In den Reihen der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) wachsen die künftigen ParlamentarierInnen heran. Beinahe jeder zweite Abgeordnete im preußischen Landtag hat irgendwann einmal in einem der Bezirksparlamente gelernt, wie man einen Kiezkönig kontrolliert, wie Anträge eingebracht und Koalitionen geschmiedet werden. Geht es nach dem Willen von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), ist damit Schluß. Aus dem Hause des Generals kommt eine Vorlage, die die Kompetenzen der BVVen empfindlich einschränkt. „Die Bezirksverordnetenversammlungen werden zu Quasselbuden degradiert“, kommentiert Köpenicks Bezirksbürgermeister Klaus Ulbricht (SPD). Eine Vielzahl von Gruppen, vom DGB über die Bezirksverordneten aller Parteien bis hin zu Abgeordneten jeder Couleur denken wie Ulbricht.

Die Gesetzesschreiber Jörg Schönbohms haben trickreich agiert. Ihre Aufgabe bestand darin, ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs umzusetzen. Der hatte im März dieses Jahres die Fünfprozenthürde bei der Wahl der BVVen für verfassungswidrig erklärt. Der Innensenator sagte damals, die Entscheidung werde „das politische Gewicht der Bezirke erhöhen“. Seine Umsetzung betreibt nun das genaue Gegenteil.

Schönbohm hat die Kriterien für den Status einer Fraktion erhöht. Bisher konnten zwei Abgeordnete eine Fraktion bilden. In Zukunft sollen es drei Bezirksverordnete sein. Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz (Bündnis 90/ Die Grünen) kritisiert, daß damit faktisch die Fünfprozenthürde „durch die kalte Küche wieder eingeführt wird“. Denn nur eine Fraktion hat in der BVV wirkliche Antrags- und Kontrollrechte.

Kerngeschäft der Bezirke ohne Kontrolle durch BVV

Fraktionslose Bezirksverordnete, die wegen des Wegfalls der Fünfprozenthürde nun zahlreich in die BVVen einziehen werden, stuft der Entwurf Schönbohms Vorstellungen zu „Mitgliedern mit Anwesenheitsrecht“ herunter – so bewertet es Tiergartens bündnisgrüner Bürgermeister Jörn Jensen. Diese oftmals unbequemen Einzelkämpfer dürfen zwar in Ausschüsse gehen – „jedoch ohne Stimmrecht“, heißt es im Generalsentwurf. Damit haben sie, obwohl demokratisch gewählt, sogar noch weniger zu sagen als die freiwilligen Bürgerdeputierten.

Die meiste Aufregung hat jedoch ein kleiner Satz in der Gesetzesvorlage des Innensenators ausgelöst, der die Kontrollrechte der Bezirksverordnetenversammlung als Ganzes quasi beseitigt. Die Kiezparlamente hatten bislang die Möglichkeit, Entscheidungen des Bezirksamts aufzuheben. Davon gab es einige lapidare Ausnahmen. Doch nun sollen alle Bezirksaufgaben ihrer Kontrolle entzogen werden, „die unter Fachaufsicht“ durch den Senat ausgeführt werden. Dabei handelt es sich um nicht weniger als das Kerngeschäft der Bezirke: die Bereichsentwicklungs- und Bebauungsplanung, mit der über die Stadtentwicklung in den Bezirken entschieden wird; die Wohnungswirtschaft; der Natur- und Umweltschutz sowie weite Teile der Schulplanung.

Das bedeutet, daß die Bezirksämter künftig fachaufsichtlich nur noch von den Senatsverwaltungen an die Kandare genommen werden. Die gewählten Vertreter in den Stadtteilen sollen dem ohnmächtig zusehen.

„Das ist der Abbau kommunaler Demokratie“, empört sich die parteilose Hohenschönhauser Bürgermeisterin Bärbel Grygier. Und ihr Hellersdorfer PDS-Kollege, Uwe Klett, meint, „daß der Senat die Bezirke damit zu reinen Verwaltungseinheiten macht“. Wie im Stadtstaat Hamburg werden Stadtteile mit Hunderttausenden von Einwohnern dann von „weisungsabhängigen Kommissaren“ geleitet, meint der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Hohenschönhausen, Gerhard Bombal (PDS).

Neben der großen Empörung über den Entwurf von Innensenator Schönbohm herrscht gleichzeitig Ratlosigkeit: Niemand versteht, warum der Innensenator jetzt mit einem so widersprüchlichen Entwurf auf den Plan tritt. Das Schönbohm-Papier „konterkariert“ die beschlossene Stärkung der Bezirke, findet der CDU-Abgeordnete und Bezirksexperte Peter Siele. Während Schönbohm nämlich das politische Gewicht der Bezirke schwächt, steht in Berlin allenthalben ihre Stärkung auf der Tagesordnung. Aus den fragmentierten 23 Bezirken sollen 12 starke werden. Die SPD besteht wie die Grünen und die PDS zusätzlich darauf, diesen Bezirken, die dann mit 300.000 EinwohnerInnen immerhin die Größe kleiner Großstädte haben, mehr Zuständigkeiten zu geben.

Und schließlich hat das Abgeordnetenhaus den Senat vor wenigen Wochen zu dem genauen Gegenteil dessen aufgefordert, was der Innensenator nun plant. Ganz ähnlich wie im Verhältnis von Senat und Abgeordnetenhaus soll sich der Bezirk außerplanmäßige Ausgaben künftig von der BVV genehmigen lassen; die Bezirksämter hätten dann Unterrichtungspflichten gegenüber den Kiezparlamenten, und sie müßten mit sogenannten Auflagenbeschlüssen umgehen. Der Bezirksverordnetenversammlung werden dadurch in bezug auf das wichtige Budget ähnliche Kompetenzen eingräumt wie dem Hauptausschuß gegenüber der Finanzverwaltung.

Der Widerstand gegen den Schönbohm-Entwurf ist indes parteiübergreifend. Kreuzbergs grüner Bürgermeister Schulz prüft, ob eine Verfassungsklage gegen das Gesetz möglich ist. Seiner Ansicht nach wird das Selbstverwaltungsrecht der Bezirke verletzt, das in Artikel 50 Berliner Verfassung festgeschrieben ist. Schulz bezieht das vor allem auf den knappen Satz, mit dem der Innensenator alle unter Fachaufsicht stehenden Bezirksaufgaben der Kontrolle der BVVen entzieht.

Auch der Vorsitzende des Innenausschusses, Rüdiger Jakesch (CDU), ist „irritiert“, daß Schönbohm diese wesentliche Passage in seinem Entwurf noch nicht einmal begründet hat. Jakesch sagte der taz, „daß wir das so nicht passieren lassen werden“. Christian Füller

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