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Lässig: Knabenschiessen in Zürich Von Wiglaf Droste

Nahezu unbeschreiblich erleichternd und befreiend ist das Gefühl, Deutschland den Rücken zu kehren – selbst, wenn man dabei in einer Sardinenbüchse liegt, die bei der Deutschen Bahn allerdings Single-Schlafwagen mit Komfort heißt. In den Filmen, in deren Titeln „Orient-Express“ vorkommt, sieht das aber immer wesentlich komfortabler aus.

Egal jetzt – in Zürich plumpst man morgens um halb zehn aus dem Zug, um sogleich die Werbung der Zeitschrift Schweizer Woche zu sehen: „Sportliche Schweizer. Kreative Schweizer. Erotische Schweizer.“ Mmmh – das tönt ja, als wäre man noch zu Hause.

Jetzt nur nicht irremachen lassen: Die Schweiz, so habe ich beschlossen, ist anders, also gut. Zur Sicherheit schreibe ich dem Land rasch eine kleine Hymne:

Lob von Schweiz und Schweizerin

Viele Menschen tanzen Veits

Vor Dummheit, Rohheit,

Stumpfheit, Geiz.

Wie anders dagegen die Schweiz:

Hier sind die Menschen bereits

Höflich – also menschgeworden

(Hier gibt's kein Gestern, gab's kein Morden.)

Aus dem Bio-Ei gepellt

Ist die schöne Schweizer Welt.

So ist auch die Schweizerin.

(Worüber ich begeitsert bin.)

Um so größer mein Entsetzen, als ich überall in der Stadt Plakate für das „Knabenschiessen in Zürich“ sehe. Was ist da los? Erledigen die sportlichen, kreativen und erotischen Schweizer einfach nach Gutdünken Knaben und schleifen sie dann zu sich nach Hause?

Überhaupt ist die Schweiz recht rätselhaft: „Der Saubär macht sauber“ steht auf den Müllsäcken, die aber nichts mit einer „Sackgelderhöhung“ zu schaffen haben, denn dieses schöne Wort meint auch etwas Schönes – es heißt Taschengelderhöhung. „Fussgänger drücken“ steht an den St. Gallener Ampeln, und die St. Gallener tun es: Unaufhörlich herzen und knuddeln sich die freundlichen, höflichen und liebenswürdigen Schweizer – oder zumindest doch die Fußgänger unter ihnen.

„Ein Volk von Hoteliers“ hat Kurt Tucholsky die Schweizer wiederholt geschumpfen – vielleicht ist er ja einmal im „Hotel Bern“ in Bern abgestiegen. Hier wird der Gast mit dem brüllenden Motto „Schwungvoll, kreativ und herzlich. Juhuiii!!!“ begrüßt, das er, mit Herzchen garniert, auch als Anstecker erwerben kann. Derart ange-Juhuiit, stürze ich mich auf die Straßen Berns, wo viele Menschen Hemden mit der Aufschrift „Puste deine Stadt zum Titel“ tragen. Aber auch dieses Schweizer Rätsel wird aufgeklärt: Es handelt sich um eine Veranstaltung aggressiver Nichtraucher, die an diesem Samstag durch Bern wüten, das sie sich allerdings mit der Sekte „Jugend ohne Drogen“ teilen müssen. Was man redet und wie man aussieht, wenn man anderen aus lauter Selbsthaß kein Vergnügen gönnt, das erfuhr ich bei den Vertretern von „Jugend ohne Drogen“. Die hatten ihre Strafen schon zu Lebzeiten empfangen. Gut.

Auch das Geheimnis ums Zürcher „Knabenschiessen“ konnte gelüftet werden: Es ist ein Schützenfest für Kinder, und gewonnen hat in diesem Jahr ein Mädchen.

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