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Gips, Schrott und Tanz auf den Gleisen

2000 AtomgegnerInnen demonstrierten und demontierten ein Wochenende lang in Krümmel. Polizei deeskalierte nach Kräften, „Nix-mehr“-Veranstalter zufrieden  ■ Von Marco Carini

Als sich zwei vermummte Jugendliche mit einer Zange an der Gleisbefestigung zu schaffen machten, andere AtomgegnerInnen mit bloßen Händen die Schienen unterhöhlten, schauten die drei anwesenden Polizisten aus sicherer Distanz zu. „Wir müssen nicht eingreifen“, verriet einer der Beamten per Funk seinem Einsatzleiter: „Das ist alles mehr symbolisch, was die hier machen.“

Die Szene war typisch für das Schienenaktionswochenende vor dem Atommeiler in Krümmel (Kreis Herzogtum Lauenburg). Unter dem Motto „Ausrangiert“waren vergangenen Samstag und Sonntag rund 2.000 AtomgegnerInnen zu dem unter Leukämieverdacht stehenden Kraftwerk gepilgert, um gegen die Castor-Transporte von Krümmel zur Wiederaufarbeitungsanlage im französischen La Hague zu demonstrieren. Ganz Eifrige sollten überdies Gelegenheit haben, Teile der ausschließlich für die Atomtransporte benötigten Gleisanlagen zu demontieren.

Die schleswig-holsteinische Polizei hatte vor Beginn der Aktionen verkündet, auf „Deeskalation“zu setzen. Die überwiegend ohne Schutzschild, Helm und Schlagstock auftretenden BeamtInnen beschränkten sich weitgehend darauf, die Situation „unter Kontrolle zu halten“. So griffen sie nicht ein, als rund 50 AtomgegnerInnen am Samstag Gips und Schrott auf die Schienen schütteten, um diese unbefahrbar zu machen.

Zu kleineren Auseinandersetzungen kam es hingegen, als am Sonntag rund 300 Personen die Schienen unmittelbar vor dem Kraftwerkstor besetzten und mehrere Gleisstücke abmontierten. Die Einsatzkräfte der Polizei räumten die Bahnstrecke, verzichteten nach Absprache mit den DemonstrantInnen dabei aber auf den Einsatz der mitgeführten Wasserwerfer. Nach Angaben von Polizeipressesprecher Frank Jäger gab es dabei keine Festnahmen.

Am Tag zuvor waren 16 AtomgegnerInnen nach „Gefahrenabwehrrecht“vorläufig festgenommen und über Nacht in Polizeigewahrsam behalten worden, nachdem sie während der Aktion „Tanz auf den Gleisen“auf den Schienen eine hölzerne Barrikade in Brand gesetzt hatten. Aus Vermummungsverbots-Gründen nahm die Polizei am Sonntag mittag noch einmal 20 DemonstrantInnen fest. „Wir werfen keiner dieser Personen Straftatbestände vor“, erklärte Polizeisprecher Jäger gegenüber der taz.

Der Veranstalter des Aktionswochenendes, das norddeutsche Anti-Atombündnis „Nix mehr“, zeigte sich zufrieden mit dessen Verlauf, obwohl das angepeilte Ziel, 5000 Menschen nach Krümmel zu mobilisieren, verfehlt wurde. Wenn Anfang November der nächste Atomtransport nach Frankreich Krümmel verläßt, soll es erneut zu Schienenblockaden kommen. Für den 18. Oktober haben die VeranstalterInnen zudem weitere Aktionen vor dem Atommüllzwischenlager in Ahaus angekündigt.

Das Wochenende, erklärte der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, solle nicht nur eine bundesweite Kampagne gegen die Aufarbeitung von deutschem Atommüll im Ausland einleiten. Darüberhinaus werde auch eng mit Atomkraft-GegnerInnen in Frankreich und England zusammengearbeitet. Ein Anfang dafür wurde am Samstag gemacht: Bereits an der Auftaktkundgebung in Geesthacht hatten Mitglieder der Anti-Atom-Initiative aus La Hague teilgenommen. Außerdem gab's zeitgleich zur Krümmelaktion eine Unterstützungskundgebung in Lille.

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