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Allah als Freund der Frauen

■ Woche des Islam: Die türkische Religionswissenschaftlerin Dr. Beyza Bilgin interpretiert den Koran als Anleitung zur Emanzipation der Frauen

Ist der Koran ein Buch, das die Rechte der Frauen im Islam einschränkt oder stellt er vielmehr, richtig gelesen, ein zukunftsweisendes Manifest der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau dar? Um diese Frage stritten am Freitagabend in der Neustädter Stadtbibliothek mehr als hundert Menschen, nachdem sie zuvor einem etwa zweistündigen Vortrag von Dr. Beyza Bilgin, Islamwissenschaftlerin an der Universität von Ankara, gefolgt waren.

Daß Dr. Beyza Bilgin eine mutige und emanzipierte Frau ist, belegt schon ihre Biographie: Als erste Frauenpredigerin der islamischen Religionsgeschichte beschäftigte sie sich mit der brisanten Frage, „inwieweit der Islam Gutes ins Leben der Frauen gebracht hat“. Im Laufe ihrer Forschungsjahre kristallisierte sich für sie immer deutlicher die Notwendigkeit heraus, zwischen dem Islam und der islamischen Kultur unterscheiden zu müssen. Letztere habe zu falschen Koranergänzungen, -übersetzungen und -interpretationen geführt, die eher einen Rückschluß auf die Bedingungen ihrer jeweiligen Entstehungszeit zulassen als auf das Original der heiligen Schrift. Zu solchen Verzerrungen zählt die Religionswissenschaftlerin insbesondere jene Auslegung des Koran, die die Unterordnung der Frau unter den Mann als Wille Allahs definiert.

Anhand ausgesuchter Beispiele aus dem arabischen Text, der die um 650 unter dem Kalifen Othman getroffene Zusammenstellung der Offenbarungen Mohammeds wiedergibt, versuchte Dr. Bilgin nachzuweisen, daß Gottes Gebot ein ganz anderes war, nämlich das Verständnis von Mann und Frau als gleichberechtigten Wesen. Anders als die christliche Lehre, welche die Frau als aus der Rippe des Mannes geboren erklärt, gehe der Koran davon aus, daß Allah Mann und Frau aus ein und demselben Wesen schuf. Die Ungleichbehandlung der Frau im Islam leite sich, folgerte die Wissenschaftlerin, somit nicht aus dem Koran ab, sondern vielmehr aus der fälschlichen Gleichsetzung dieses Wesens mit „Adam“.

„Der Koran betont, daß es keinen Wertunterschied zwischen Mann und Frau gibt“, versicherte die Theologin. Die im islamischen Recht festgeschriebenen Entmündigungen der Frau, etwa im Bereich des Ehe- und Scheidungsrechtes, hätten mit dem Koran nichts zu tun. Zwar dürfe der Mann bis zu vier Frauen heiraten, aber nur, wenn er diese gerecht behandele und „das Gleichgewicht zwischen den Frauen halte“. Weil der Koran dies jedoch für unmöglich erklärt, empfehle er die Einehe. Eine Scheidung sei entgegen dem islamischen Recht nach dem Koran auch der Frau erlaubt, sie könne sich gegen Rückgabe der Mitgift freikaufen.

Das islamische Rechtswesen sei ein Produkt von „Ansichtsbewegungen“, die den Koran mit bestimmten Erkenntnisinteressen interpretiert und benutzt haben, meinte die Wissenschaftlerin: „Die islamische Gesellschaft, in die der Koran herabgesandt wurde, war eine der Männer. Wir müssen daher zurückkehren zu seinem Ursprung.“

Für viele Diskriminierungen aber tragen auch die Frauen Verantwortung, beeilte sie sich hinzuzufügen. So etwa sei es kanonische Vorschrift, sich mit den Wissenschaften zu befassen. Statt an die Universitäten zu drängen, beschränkten sich die Frauen jedoch lange Zeit allein auf das Lesen des Koran und glaubten selbst, sie besäßen menschlichen Wert nur als Mütter und Ehefrauen.

Heute haben, so Bilgin, immer mehr junge Frauen die Botschaft des Koran verstanden und nehmen selbstbewußte Positionen in der islamischen Gesellschaft ein. Daß es gerade Studentinnen waren, die 1991 erfolgreich für die Abschaffung des kemalistischen Kopftuchverbotes demonstrierten, sieht Bilgin als positives Symbol der Rücckehr: „Sie verhüllen die Köpfe, aber sie machen den darin wohnenden Verstand weit auf, um die Fehler zu korrigieren, die die islamische Kultur über die Jahrhunderte hervorgebacht hat.“

Die Thesen von Dr. Beyza Bilgin waren provozierend für die meisten ZuhörerInnen, unter denen sich auch etliche Koranexperten befanden. Hartnäckig versuchten sie, die Interpretationen der Wissenschaftlerin ihrerseits mit Zitaten aus dem Koran zu widerlegen. Einigung gab es am Ende des Streits um arabische Silben nur in einem Punkt: „Man muß den Koran lesen!“

dan

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