piwik no script img

Mehr Polizei ist ein „Irrweg“

■ Kripo-Chef und Vizepolizeipräsident Schenk warnt vor Übernahme des amerikanischen Polizeisystems nach Berlin. Schönbohm: Technokratische Sicht eines Kriminalbeamten

Der Chef der Kriminalpolizei und Stellvertreter des Polizeipräsidenten, Dieter Schenk, hat vor amerikanischen Polizeimethoden gewarnt. Mittels massiver öffentlicher Polizeipräsenz nach amerikanischem Muster lasse sich die wachsende Kriminalität in Deutschlands Großstädten nicht bekämpfen, erklärt Schenk in der heute erscheinenden Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Die Forderung nach mehr Grün auf der Straße führe gefährlich in die Irre.

Das von der New Yorker Polizei praktizierte Null-Toleranz-Konzept, bei dem Polizisten jeden öffentlichen Ordnungsverstoß rigoros ahnden, tauge nicht zur Anwendung für die deutschen Großstädte. Derlei „ungezielte Nadelstichtaktik“ sei letztlich eine Verschwendung von polizeilichen Ressourcen, betonte Schenk.

Hintergrund der Debatte um die Polizeitaktik ist die Entwicklung der Kriminalität in New York City: Dort verzeichnete die Polizei in den vergangenen Jahren einen starken Rückgang der registrierten Delikte. Der ehemalige Polizeichef der Metropole, William Bratton, reklamiert diese Entwicklung als Erfolg für seine Methode des „zero tolerance“: Selbst bei kleinen Vergehen schreite die im Stadtbild massiv verstärkte Polizei ein und verhindere damit das Entstehen eines Klimas, in dem Kriminalität wachsen könne. Bratton, der inzwischen nicht mehr Polizeichef von New York ist, besuchte vor einigen Wochen Berlin und fand für seine Thesen teilweise Zustimmung bei Polizei und Innenverwaltung.

Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) kritisierte seinen stellvertretenden Polizeichef Schenk für diesen Beitrag zur Debatte um die Innere Sicherheit. Es sei im höchsten Maße illoyal, daß ein leitender Mitarbeiter einen Artikel veröffentliche, ohne dies vorher mit dem Polizeipräsidenten abzustimmen, sagte Schönbohm gestern im Radiosender Hundert,6. „Fachlich sind viele Dinge zutreffend, insgesamt aber ist es die technokratische Sicht eines Kriminalbeamten.“

Schönbohm: Kampf um mehr Stellen

Da Schenk auch stellvertretender Polizeipräsident sei, müßte er die Gesamtsicht betrachten, nämlich die Funktion der Schutzpolizei auf der einen und die der Kripo auf der anderen Seite, betonte der Senator. Die Äußerungen des Kripo- Chefs seien jedoch „sehr einseitig“ eine Auseinandersetzung um mehr Ressourcen, also um mehr Mitarbeiter für das Landeskriminalamt.

Schönbohm bekräftigte, daß die Kripo im Rahmen des „Berliner Modells“ mehr Ressourcen erhalte, so daß sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen könne. Gerade vor diesem Hintergrund sei der Artikel „völlig unakzeptabel“. Personelle Konsequenzen für Schenk wegen dieser Veröffentlichung sehe er jedoch nicht, sagte der Senator.

Nach Meinung des Kripo-Chefs Schenk wird die Sicherheit des Bürgers vor allem von Intensiv- und Serientätern bedroht. „Nicht immer mehr Menschen werden kriminell, sondern eine relativ kleine Zahl von Tätern begeht in immer schnelleren Abständen neue Straftaten“, betonte Schenk. Dieser Art von Delikten aber sei nicht durch bloße Präsenz von mehr Uniformen auf den Straßen beizukommen, sondern nur durch mehr Ermittlungsbeamte und mehr Observations- und Fahndungseinheiten. Ziel der Polizeiarbeit müsse es sein, für diesen Täterkreis „das Entdeckungsrisiko auf ein Maximum hochzutreiben“. ADN/taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen