piwik no script img

Letzter Vorhang für Pico

Auch Untote müssen einmal sterben: Am 31. Dezember wird zum vorläufig letzten Mal „das Star-Club-Musical“gezeigt  ■ Von Christiane Kühl

Legenden sind nicht totzukriegen. Ihre Kopien, zumal mittelmäßige, schon. Als Anfang dieses Jahres das Delphi Musik-Theater mit Pico nicht nur ein, sondern „das Star-Club Musical“ankündigte, hatte man mit einem Heimspiel gerechnet: Schließlich wird kein Mythos in der Hansestadt hartnäckiger gepflegt als der vom lustigen St. Pauli im allgemeinen, der Großen Freiheit im besonderen und des Star-Clubs im speziellen. War es doch in diesem Beatschuppen Manfred Weißleders, daß die Beatles am 13. April 1962 zwar nicht das Licht der Welt, aber doch den ersten Scheinwerfer ihres blendenden Weltruhms erblickten.

Daddes Gaisers Pico konnte all diese Legenden verwursten und zusätzlich mit Authentizität aufwarten. Denn Pico war eine reale Figur des Kiezes, Kind einer Prostituierten, von 1962-1969 Kellner im Star-Club und stand dem Musicalautoren mit unzähligen Episoden zur Seite. Und mehr Untote standen auf für die Bühne: Die Rattles, Deutschlands einzig bravouröse Beatband, lieferte den Soundtrack zum Musical und spielt seit der Uraufführung am 19. April jeden abend live und grauhaarig in der Eimsbütteler Chaussee. Weltformat mit Lokalkolorit – was mehr kann ein Publikum sich wünschen?

Die Antwort gab die Uraufführung: gute Dialoge, gelungene Dramaturgie, mitreißende Songs. All das konnte Pico nicht bieten, bekam entsprechend schlechte Kritiken und konnte im Sommer schon nur noch 40 Prozent seiner 450 Plätze verkaufen. Zwar erhöhte sich die Auslastung ab September und liegt nun bei 55 Prozent, doch ist das für eine „Long-Run-Produktion“zu wenig. Mit open end geplant, wird sich nun am 31. Dezember zum letzten Mal der Vorhang für Pico heben. „Vorläufig“, wie Theaterleiter Ulf Schmidt-Funke betont: Man sei auf der Suche nach neuen Investoren und wolle ab Februar oder spätestens September 1998 weiterspielen. Bis dahin wird die Zeit mit Gastspielen überbrückt: „Ein Konkurs ist nicht in Sicht.“

Die Erfolglosigkeit des Musicals erklärt Schmidt-Funke nicht mit der Qualität der Produktion, sondern mit fehlenden Werbemitteln. Nach 1,6 Millionen Mark Produktionskosten und Defizitausgleich durch die Produktions GmbH wollte diese kein Geld mehr zum Anpreisen der mittlerweile überarbeiteten Musicalfassung zur Verfügung stellen. Da es auch keine neue Presse gegeben habe, hielten sich „hartnäckig die Eindrücke der Premiere“– ganz so, als könnten beglückte Zuschauer ihre Begeisterung nicht selbst mitteilen.

Wie das Delphi-Team sich die Zukunft vorstellt, zeigt die Abschlußaufführung: Am Sylvesterabend spielt Wirtschaftswunder auf. Erschreckend nur, daß die auch seit 1989 tot sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen