: Die Clowneske unter dem Trauerspiel
■ Zwischen Staatstheater und Company: Vera Sturm inszeniert den „Timon von Athen“
Kaum vorstellbar, daß ihr etwas mißlingen könnte. Kurz vor der Company-Premiere von Shakespeares „Timon von Athen“sitzt sie, Vera Sturm, da und sagt: „Natürlich werden wir zum 19. fertig.“Als ob es daran auch nur den leisesten Zweifel geben könnte.
Sie ist wohl einfach Profi. Ohne Vera Sturm wäre die deutschsprachige Theaterlandschaft in Wien, Berlin oder Stuttgart um ungezählte Inszenierungen ärmer, zu deren Zustandekommen sie als Dramaturgin und immer häufiger auch als Regisseurin beigetragen hat. Dies zuletzt in der Uraufführung von Christa Wolfs „Medea“in Wien oder jetzt im Theater am Leibnizplatz mit dem Trauerspiel vom Misantropen „Timon“.
Trotzdem „kennt“die taz-CD-ROM Vera Sturm nur in einem Zusammenhang: Bis 1992 gehörte sie der sogenannten Viererbande in der Leitung des Berliner Schiller-Theaters an. Der damalige Kultursenator kündigte dem Leitungs-team nach Querelen im Sommer '92. „Das war ein unglaublicher Druck“, erinnert sich Vera Sturm. „Damals strömten alle in den Osten, als sei es die Offenbarung.“Diese absolute Geringschätzung habe sie am meisten gekränkt, sagt sie. Egal, Schnee von gestern. Heute empfindet sie die Berliner Theaterszene/West als matt und grau: „Da hat doch kaum einer Lust, abends wegzugehen“, glaubt sie und wirkt fast erleichtert, nicht mehr dort zu sein.
Wien, Stuttgart, Bochum und jetzt Bremen: Die 49jährige ist eine von diesen Theaterreisenden geworden – eine, die mal da für die Dramaturgie verantwortlich ist, dort etwas mit Tabori plant oder hier Regie führt. Das Ganze eine selbstgewählte Freiheit, denn „an einem großen Haus ist man immer nur am hetzen – das macht Spaß, aber auf Dauer laugt das Hirn aus“.
Doch Esprit brauchte sie für ihre Arbeit bei den Shakespeares namentlich mit Dagmar Papula und Norbert Kentrup, mit denen sie seit fast zwei Jahrzehnten befreundet ist. Den „Timon“haben Sturm und Co regelrecht entrümpelt. Die an sich „sehr moralisierende“Geschichte von dem reichen Athener, der all sein Geld verschenkt und in der Pleite darüber verbittert, daß er nur falsche Freunde hat, mausere sich zu einer Clowneske – eine Komödie unter der Tragödie und umgekehrt. Kentrup gibt den Timon und Dagmar Papula die zu einer Person verschmolzenen Figuren Flavius und Apemantus. „Ich habe den beiden unglaublich große Rollen aufgebürdet – sie müssen übergangslos von einer Situation in die nächste springen.“Nur manchmal hilft Barbara Kratz dabei, die als hinzugesellter Götterbote Merkur dem Stück „hier und da einen Kick gibt“.
Übrigens: Glaubt man Vera Sturm, kann die Bremer Shakespeare Company ihre wichtigsten Selbstbestimmungsthesen in die Tonne werfen: Die Überwindung der vierten Wand zwischen Bühne und Publikum, längere Probenzeiten als am Stadttheater, Kollektivinszenierung und so weiter: „Die kontinuierliche Beschäftigung mit Shakespeare merkt man überall im Haus“, sagt sie, aber die Arbeitsabläufe an der „Timon“-Inszenierung unterschieden sich nicht von anderen Theatern. ck
Premiere: 19. November, 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz
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