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Queen Winnie am Abgrund

Sie war die „Mutter“ des südafrikanischen Befreiungskampfes, weltweit bewundert und verehrt. Und die 63jährige Winnie Mandela hat immer noch viel vor. Im Dezember will sie Vizepräsidentin der Regierungspartei, des Afrikanischen Nationalkongresses, werden. Doch zunächst geht es um das dunkelste Kapitel ihrer Biographie. Von Montag an muß die Exfrau des ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas vor der Wahrheitskommission aussagen. Die Vorwürfe sind geharnischt. In 18 Fällen von schweren Menschenrechtsverletzungen hat die Kommission monatelang gegen sie und ihre ehemalige Leibgarde ermittelt. Für den ANC kommt der Fall Winnie einer Zerreißprobe gleich. Viele wußten von den Machenschaften ihres Idols – und schwiegen aus Solidarität mit dem inhaftierten Nelson Mandela. Nun sollen endlich die Familien der Opfer aussagen, ANC- und Kirchenleute sollen befragt werden. Aus Johannesburg berichten Kordula Doerfler (Text) und Henner Frankenfeld (Fotos).

Sie tritt auf wie eine Diva. Die kann es sich leisten, immer Stunden zu spät zu erscheinen und dann in den Raum zu rauschen, als warte dort ihr ganzer Hofstaat. Dabei ist die jeweilige Rolle stets perfekt: als unscheinbares ANC-Parteimitglied im Khakikostüm mit Baskenmütze, als Befreiungskämpferin in Camouflage, als African Queen in leuchtenden Gewändern und ausladenden Hüten, als Geschäftsfrau im klassischen dunkelblauen Kostüm, lediglich mit ein paar Diamanten geschmückt.

In letzterem feierte sie im April dieses Jahres noch einmal einen großen Erfolg. Obwohl die Parteispitze es nicht wollte, wurde Winnie Madikizela-Mandela erneut zur Präsidentin der Frauenliga des African National Congress gewählt. Vorausgegangen war dem ein monatelanger Streit, denn sie ist auch im ANC längst nicht so beliebt, wie es die stehenden Ovationen der Frauenliga glauben machen.

Auch mit ihren jahrzehntelangen Mitstreiterinnen ist Winnie Mandela inzwischen tief zerstritten. Elf prominente Vorstandsmitglieder hatten während ihrer ersten Amtszeit den Verband verlassen, weil sie hinter deren Rücken dubiose Geschäfte machte. An der Basis indessen, in den Slumsiedlungen und den weit abgelegenen Dörfern, hat Winnie Mandela heute noch ihre Anhänger. Dort stößt sie auf offene Ohren, wenn sie erklärt, Südafrika sei trotz ANC- Regierung noch längst nicht befreit. Dort hört man auch ihre rituellen Beschwörungen des Befreiungskampfes gern.

Ansonsten ist es politisch still um die „Mutter der Nation“ geworden. Schlagzeilen macht sie nur wegen einer endlosen Reihe von Skandalen. Trotz ihrer bereits offenkundigen Entfremdung holte Nelson Mandela sie 1994 in sein Kabinett, als stellvertretende Kulturministerin. Im Amt fiel sie vor allem durch kostspielige Extravaganzen auf, nur ein Jahr später warf Nelson Mandela sie entnervt hinaus. Winnie Mandela blieb nur ihr Parlamentsmandat. Nie machte sie dort durch Redebeiträge auf sich aufmerksam, statt dessen behielt sie aber ostentativ ihren Platz auf der Regierungsbank. Daß niemand es wagte, sie von dort zu verweisen, zeigt, welch ambivalente Rolle die 63jährige in der heutigen Regierungspartei spielt. Viele hassen sie, sagen das aber lieber nicht laut. Winnie Mandela weiß sehr viel. Und die Partei braucht vor allem jetzt, kurz vor ihrem nächsten Parteitag, Geschlossenheit. Zudem wiegen Verdienste im Befreiungskampf schwer. Das verpflichtet moralisch. So sehr, daß eine mögliche Mörderin als Vizepräsidentin kandidieren darf? Eine Debatte über die schweren Vorwürfe gegen Winnie Mandela findet nicht statt.

Sie selbst bezeichnet die Anschuldigungen als Versuch, ihre Karriere zu zerstören, und streitet alles ab. Ihre Anhänger glauben ihr. Die Zeitungen, so sie sie überhaupt lesen können, lügen doch ohnehin. Im Dezember möchte Winnie Mandela Vizepräsidentin der Partei werden. Nach bisherigen Regeln brächte ihr das automatisch das Amt der Vizepräsidentin in der nächsten Regierung ein. Das will der ANC nun um jeden Preis verhindern.

Es bleibt abzuwarten, ob die Wahrheitskommission in der Lage sein wird, die Wahrheit über Winnie Mandela herauszufinden. Ab Montag muß sie vor der Kommission über das dunkelste Kapitel ihrer Biographie aussagen: die späten achtziger Jahre, als ihre Leibgarde, der „Mandela United Football Club“, ganz Soweto terrorisierte, Jugendliche verschwanden und ermordet wurden. Nur einmal, im Mordfall des 14jährigen Stompie Seipei, wurde Winnie Mandela überhaupt angeklagt, kam aber mit einer Geldstrafe davon. Das ist nicht zuletzt der Verschwiegenheit des ANC zu verdanken.

Auch Nelson Mandela verliert noch heute öffentlich kein schlechtes Wort über Winnie, obwohl die Ehe auf sein Betreiben nach 38 Jahren geschieden wurde. Schon bei seiner Freilassung im Februar 1990 war ihr Verhältnis offenbar zerrüttet, obwohl das (fast) niemand ahnte. Vor Gericht sagte Mandela später: „Ich war in dieser Zeit der einsamste Mensch auf der Welt.“

In der Öffentlichkeit war jedoch ein völlig anderes Bild entstanden: Winnie Mandela hielt während 27 Jahren Haft in Treue fest zu Nelson. Der Bruch indessen – allzu menschlich – mußte längst stattgefunden haben. Getroffen hatten sich die beiden 1957. Winnie war zu dieser Zeit eine blutjunge Sozialarbeiterin in Johannesburg, Nelson Mandela einer der wenigen schwarzen Anwälte des Landes und hohes ANC- Mitglied. Beide kamen ursprünglich aus der Transkei, an der Südküste Südafrikas.

Dort war Winnie im September 1934 geboren worden. Zeit füreinander hatten die Eheleute nie. Nelson Mandela lebte für den Kampf und mußte schon vor der Haft in den Untergrund gehen.

So schwer die Trennung nach seiner Verhaftung gewesen sein muß, in gewisser Weise wurde sie, die sehr viel Jüngere, erst danach eine eigenständige Persönlichkeit. In ihrer Autobiographie gab sie das später selbst zu. Winnie Mandela war unerhört mutig und legte sich unerschrocken mit den Apartheid- Schergen an. Immer wieder wurde sie selbst verhaftet, 1969 saß sie sogar eineinhalb Jahre in Einzelhaft. „Das Gefängnis war meine zweite Heimat“, sagte sie einmal.

Für die weiße Regierung wurde sie zum Staatsfeind und mit einem Bann belegt. Das hieß, sich nicht frei bewegen zu dürfen oder mehr als eine Person gleichzeitig zu treffen. Nelson Mandela, im mehr als 1.000 km entfernten Kapstadt, durfte sie nur zweimal im Jahr besuchen, 22 Jahre lang nicht einmal berühren. 1977 wurde sie in das fast 400 km entfernte Brandfort im Oranjefreistaat verbannt. Doch sie ließ sich auch so nicht brechen. Während Nelson Mandela auf Robben Island der intellektuelle Kopf des verbotenen ANC war, lebte Winnie Mandela den Befreiungskampf tagtäglich, war Vorbild für Millionen von Schwarzen. Sie wagte es, in Geschäfte „Nur für Weiße“ zu gehen und dort einzukaufen. Weil sie eine so starke Persönlichkeit war, wurde sie bedient – unerhört in einem burischen Provinznest.

Ihr Mut und ihre Schönheit ließen sie zum Mythos werden, an dessen weltweiter Verbreitung die ausländischen Medien in Südafrika nicht unbeteiligt waren. Als sie 1985 nach Soweto zurückkehrte, war sie eine Heilige, die „Mutter der Nation“. Kaum jemand hatte sie jedoch in den Jahren zuvor gesehen, wußte so ganz genau, was für eine Person sie eigentlich war.

Den Ruhm und vielleicht auch die Härten des Regimes indessen hat die „Mutter der Nation“ offenbar nicht verkraftet. In den achtziger Jahren, während schon geheime Verhandlungen zwischen dem ANC und der weißen Regierung liefen, wurde Winnie Mandela zunehmend selbstherrlich und unberechenbar. Ihr Hang zur Verschwendung schwoll zu einem Schuldenberg an, der andere ins Armenhaus gebracht hätte. Verzweifelt sucht Winnie Madikizela- Mandela, wie sie seit der Scheidung heißt, nach neuen Geldquellen, oft weit entfernt von der Legalität. Auch Interviews mit ihr kosten Geld, sehr viel Geld. Winnie Mandela lebt heute, abgeschirmt von Leibwächtern und hinter hohen Mauern, in ihrem Haus in Soweto. Gesehen wird sie dort kaum noch.

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