Dialoge aus dem Off

Das Kindermusical als Wiederaufbereitungsanlage: „Der verzauberte Märchenwald“ im Flughafen Tempelhof  ■ Von Thomas Winkler

Vor eine Premiere haben die modernen Zeiten den Dank an die Sponsoren gestellt. Das ist inzwischen auch bei einem Kindermusical nicht anders. Bevor „Der verzauberte Märchenwald“ im Hangar II des Flughafens Tempelhof, dem ständigen Spielort des Touristenspektakels „Space Dream“, zum erstenmal über die Bühne gehen kann, müssen noch „die Freunde aus Wirtschaft und Industrie“ gelobt werden. Und ein Vertreter von Familiensenatorin Stahmer hat sich viel Mühe gegeben und erzählt den als Märchen getarnten Werbeclip vom lieben Automobilhersteller, der dem „Bürgermeister Eberhard“ zum Geburtstag 1.000 Eintrittskarten schenkt, die der von seinem „Regierungsstühlchen“ aus verteilen möge, um seinen „von der vielen Sparerei genervten Landeskindern“ mal wieder eine Freude zu machen. Das hat Eberhard denn auch getan. Deswegen war es fast voll.

Es konnte nur besser werden.

Das wurde es nicht.

Drei breit berlinernde Drachenkinder in knallbunten Latzhosen finden es lustig, sich gegenseitig in den Arsch zu treten. Kurz darauf buchen sie eine Reise ins Märchenland, das aber leider der Zauberer McTunichgut, der sich allezeit durch diabolisches Gelächter als Bösewicht qualifiziert, verhext hat. Tunichgut will die Phantasie ausrotten, damit das Böse siegen möge, und wer jetzt an die „Unendliche Geschichte“ denkt, weiß, wo abgekupfert wurde. Außerdem bietet der Plot natürlich prima Gelegenheiten für jede Menge Cameo-Auftritte von einschlägigen Märchenfiguren. Und die Drachen müssen nun allerlei Rätsel lösen, um die Märchenfee von ihren Mühlsteinen zu befreien und wieder Ordnung ins Chaos zu bringen.

Soweit die Geschichte, die nummernweise abgearbeitet wird, mit eintönigen Choreographien und den einschlägig kindgerechten Animationen: „Hallo, Kinder, könnt ihr mich hören?“

Bei so einem Unterfangen sind natürlich die Kostüme das Wichtigste, und die sind so bunt und bombastisch geraten, als seien sie beim Schneidern für „Space Dream“ vom Tisch gefallen. Für die vielbeschworene Phantasie bleibt kaum ein Plätzchen frei.

Eher bedient man sich im visuellen Fundus der elektronischen Medien: Der Kinderlied-Klassiker „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald“ kommt als halbwegs flotte Techno-Version daher. Die Gehilfen des bösen Zauberers sehen aus wie zu klein geratene Klingonen und die Drachenkinder wie zu dicke Ninja Turtles, auch wenn sich ihre Schaumgummimünder beim Reden nicht bewegen und die Figuren dadurch ziemlich leblos und fast unheimlich wirken. Überhaupt werden öfter Dialoge aus dem Off eingespielt, was wirkt wie ein schlecht eingesprochener Stummfilm.

Aber immerhin ist „Der verzauberte Märchenwald“ schwer ökologisch: Den schunkelnden Titelsong „Eddy und Family“, bei dem Kinder zwanghaft mitklatschen müssen, hat die Produktionsfirma „Kinderwelt“ für dieses Musical aus ihrem eigenen Kinderkassetten-Archiv recycelt. Der Roboter Roboto und sein Song vom Ikarus wurden vom abendlichen Musical- Bruder übernommen – das macht zwar dramaturgisch nicht den geringsten Sinn, spart aber Geld.

Gleiches gilt für die Bühnentechnik von „Space Dream“: Dann muß halt ein Raumschiff durch den Märchenwald fliegen oder müssen Drachen in Aufzügen am Rand der Bühne rauf- und runterfahren – reinschreiben läßt sich notfalls alles in solch eine als Spektakel getarnte Wiederaufarbeitungsanlage, deren einziger Daseinsgrund es ist, dem umkämpften Großmusical-Markt einen neuen, jüngeren Kundenkreis zu erschließen.

Und die Kinder? Meiner Vierjährigen hat es natürlich gefallen. Man gibt es ja nicht gerne zu, aber auch die eigenen Kinder sind ein immer dankbares Publikum, das von allerlei Nichtskönnern (auch aus dem Off-Bereich) gerne ausgenutzt wird. Die Achtjährige immerhin fand es „teilweise babyhaft“, und interessierte sich mehr für die Softdrinks, die von den lieben Sponsoren im Übermaß zur Verfügung gestellt wurden.

„Der verzauberte Märchenwald“, bis Ende Dezember, Space Dream Theater, Hangar II, Flughafen Tempelhof, Columbiadamm 2–6