: „Plötzlich hast Du nichts ...“
■ Fast 2.600 Menschen sind in Bremen alleinerziehend und leben von Sozialhilfe / Sie verlieren neben dem Partner auch ihre finanzielle Sicherheit
nes Kramer (Name geändert) hätte nie gedacht, daß ihr das mal „passieren könnte“. So von heute auf morgen ohne eigene Wohnung und finanzielle Sicherheit „dazustehen“. Doch vor fünf Wochen ist es dann passiert. Da ist sie bei ihrem Freund ausgezogen, „weil es nicht mehr ging.“Jetzt ist die 30jährige mit ihrer 17 Monate alten Tochter Vanessa allein – und hat „im Grunde gar nichts mehr“. Sie ist eine von knapp 2.600 alleinerziehenden Menschen in Bremen, die von Sozialhilfe und damit am Rande der Armutsgrenze leben. Knapp 200 davon haben sich im Bremer Landesverband alleinerziehender Väter und Mütter organisiert (siehe Kasten). Auch Ines Kramer ist dabei. Sie kommt jetzt regelmäßig zum Frühstückstreff.
Knapp 20 Frauen sitzen in den Verbandsräumen in der Bürgermeister-Deichmann-Straße mit ihren Kids in der Runde – frühstücken und quatschen. Über Beziehungsstreß, Kindererziehung und Geldsorgen. Wer zum Frühstückstreffen kommen will, zahlt 3,50 Mark und für's Kind 1,50 Mark in eine gemeinsame Kasse ein. „Wir organisieren alles selber, da muß sich das Frühstück auch selber tragen“, sagt Andrea Wittenhagen-Keck vom Verband. Das Thema „Geld“sorgt immer wieder für Gesprächsstoff – denn wer plötzlich alleinerziehend ist, verliert nicht nur den Partner, sondern auch seine finanzielle Sicherheit.
Statt im gemeinsamen Haus mit Partner und Auto lebt Ines Kramer jetzt samt Tochter in einem kleinen Zimmer bei ihren Eltern. Im Haus steckt noch viel Geld, „das ich wohl nie wieder sehe.“Das Sozialamt zahlt ihr jetzt nur knapp 200 Mark Hilfe zum Lebensunterhalt, „weil meine Eltern ja Einkünfte haben“. Wohngeld für eine eigene Wohnung lehnt das Amt ab, sagt sie – „weil die von mir ausgesuchte zu teuer sein soll“. Dabei hätte sie bereits durch vorgelegte Wohnungsangebote nachgewiesen, daß andere Wohnungen noch teurer sind. Von ihrem Freund kann sie nur Unterhaltsgeld für die Tochter erwarten, nicht aber für sich: „Ihm bleiben jetzt auch nur noch 400 Mark zum Leben. Er hat mir gesagt, es sei nicht böse gemeint. Aber in diesem Fall müßte ich halt den Kürzeren ziehen.“Was bleibt, ist der „tägliche Blick auf den Kontoauszug. Und dann kann ich nur noch rechnen, rechnen, rechnen. Und gucken, was uns zum Leben noch bleibt.“
Bei Andrea Czimek (Name geändert) sind das im Monat erstmal nur 500 Mark Hilfe zum Lebensunterhalt. „Große Sprünge kann ich damit nicht machen, aber überleben kann ich schon“, sagt die junge Mutter von drei Kindern, die auch zum gemeinsamen Frühstück gekommen ist. Auch sie hat vor knapp fünf Wochen die Trennung von ihrem Mann geschafft – und jetzt einen Schuldenberg von über 20.000 Mark am Hals. „Mein Mann hat das Erziehungsgeld geklaut und unsere Konten überzogen“, erzählt sie. Daß er auch noch ihre drei Kinder „abgezockt hat“und sie „nur hofft, daß er sie nicht in sein Heimatland Algerien entführt“, ist heute ihre größte Sorge. „Das mit dem Geld kriege ich schon irgendwie hin, wenn ich nur endlich das Sorgerecht für die Kinder habe“, sagt sie. Jetzt muß sie erstmal alles loswerden „über den Psychopathen, mit dem ich acht Jahre verheiratet war“. Und die anderen hören ihr zu, während sie erzählt – von den Bedrohungen und den Schlägen und der verwahrlosten Wohung, in der ihr Mann jetzt noch mit den Kindern lebe.
„Viele müssen hier erstmal ihren ganzen Mist loswerden“, sagt dazu Andrea Wittenhagen-Heck vom Verband. Danach geht dann der Papierkrieg los – um Hilfe bei Ämtern zu erkämpfen und sich mit wenig Geld durchs Leben zu schlagen.
Die betroffene Ilse Kramer will ihren Anspruch auf Wohngeld jetzt „auf jeden Fall mit aller Macht durchbringen“, sagt sie kämpferisch, „schließlich können meine Eltern mich nicht auf Dauer bezahlen. Außerdem habe ich auch Anspruch auf das Geld.“Jetzt hat sie zusätzlich beim Amt einen Antrag für einen neuen Fahrradsitz plus Helm für die Tochter eingereicht. „Ich habe doch jetzt kein Auto mehr“, sagt sie. Und in drei Jahren will sie unbedingt wieder als Verwaltungsangestellte arbeiten. Doch die Zeit bis dahin bleibt ungewiß. Da müsse sie sich wohl „irgendwie finanziell umstellen“. Aber ein anderer Gedanke schreckt sie noch viel mehr: Sie muß noch ihre restlichen Sachen bei ihrem Ex-Freund abholen. „Das wird nicht einfach werden“, sagt sie. kat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen