: "Sie sprechen für Ermordete"
■ Henry Friedlander, Judaistik-Professor und Autor ("Der Weg zum NS-Genozid"), zum Gedenkhaus für Euthanasie-Opfer in Berlin und weshalb nur dort die Prinzhorn-Kunstsammlung gezeigt werden darf
taz: Die Initiative für das Berliner Euthanasie-Museum geht von ehemaligen Psychiatriepatienten aus. Warum?
Henry Friedlander: Anders als Juden, Sinti und Roma hatten die Euthanasie-Opfer keine natürlichen Nachfolger. Es gibt keine Überlebenden. Heutige Psychiatrie-Erfahrene gehören derselben Gruppe an, die die Nazis vernichten wollten. Daher ihr Recht, für die Ermordeten zu sprechen. Auch Israel muß ja nicht sein Recht nachweisen, die ermordeten Juden zu vertreten. Das in Frage zu stellen drückt eine Mißachtung aus, die man sich gegenüber Juden kaum mehr erlauben könnte.
Zwischen der Heidelberger Uniklinik und den Psychiatrie-Erfahrenen gibt es Streit um die Prinzhorn-Sammlung. Wem steht sie Ihrer Meinung nach zu?
Den Psychiatrie-Erfahrenen.
Und warum wehren sich diese so vehement dagegen, daß die Sammlung in Heidelberg bleibt?
Die Heidelberger Universitätspsychiatrie unter Professor Carl Schneider spielte eine Schlüsselrolle bei der Euthanasie. Ich sehe keinen Unterschied zwischen Schneider und dem KZ-Arzt Josef Mengele. Nur hatte Schneider als einer der führenden Unipsychiater einen wesentlich wichtigeren Posten. Mengele war nur Assistent und nur einer unter vielen Ärzten in Auschwitz. Daher verstehe ich, wenn sich die Betroffenen dagegen wehren, daß die Bilder gerade in Heidelberg bleiben.
Das Washingtoner Holocaust Memorial Museum würdigt alle Naziopfergruppen, das in Berlin geplante Mahnmal indes ausschließlich Juden. Sind Sie damit einverstanden?
Der Genozid der Nazis ist ein Massenmord an Menschen, die einer biologisch definierten Gruppe zugeordnet wurden. Und das waren neben Juden, Sinti und Roma auch die Opfer der Euthanasie. Ich fände es richtig, ihrer an einer gemeinsamen Stätte zu gedenken.
Warum wird das nicht getan?
Das ist eine politische Entscheidung. Die Täter sträuben sich, bei anderen Opfergruppen anzuerkennen, was bei den Juden weitgehend akzeptiert wurde: die Verantwortung.
Sie scheinen von der deutschen Vergangenheitspolitik nicht begeistert.
Denkmäler wie das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin bringen keine Aufklärung. Ich habe mir für Berlin immer ein zentrales Holocaust-Museum gewünscht, eines wie in Washington oder Jerusalem.
Ein Museum auch für die Opfer der Euthanasie?
Eines jedenfalls, das alle Opfer einbezieht. Weil es das aber nicht geben wird, ist es um so wichtiger, daß die oft vernachlässigten Opfer der Euthanasie einen authentischen Ort bekommen.
Trotz Gedenkstätten, Denkmälern und Museen ist der Rechtsextremismus in Deutschland in den letzten Jahren wieder stark geworden. Ist die Erinnerungspolitik gescheitert?
Nein. Jedenfalls nicht, soweit es sich um Bildungsprogramme, Bücher und Ausstellungen handelt. Zwar waren sie nicht immer erfolgreich. Dennoch bleiben sie unsere einzige Waffe im Kampf gegen Irrationalität und das Böse. Wir haben keine Wahl, wir müssen uns weiter bemühen. Es ist nicht wie in einem Schuhgeschäft, wo man das Sortiment ändert, wenn sich das alte nicht mehr verkauft. Wir haben nur eine Sorte Schuhe, auch wenn damit an manchen Tagen nichts zu verdienen ist. Interview: Petra Lutz
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