piwik no script img

Perfektionierte Kriegsführung

Elenor Richter-Lyonette ist Programmkoordinatorin der Coordination of Women's Advocacy. Diese Organisation arbeitet dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für das ehemalige Jugoslawien bei geschlechtsspezifischen Kriegsverbrechen und beim Zeuginnenschutzprogramm zu. Seit Juni beobachtet sie auch die Lage der Zivilbevölkerung im Kosovo.

taz: Was erfährt Ihre Organisation von ZeugInnen über die Situation im Kosovo?

Elenor Richter-Lyonette: Wir schließen aus Berichten und eigenen Befragungen, daß es dort eine spezielle Strategie der Gewalt gibt. Dazu gehört die Drei-Tage- Eroberung. Am ersten Tag umzingeln und vertreiben die serbischen Einheiten die Bevölkerung. Am zweiten Tag plündern sie ihre Dörfer, und am dritten Tag brennen sie sie ab. Zwar vertreibt auch die UCK der Kosovo-Albaner serbischstämmige Bevölkerung, aber in geringerem Ausmaß. Die serbischen Einheiten vertreiben die Menschen nicht in die Täler, sondern gezielt in die Berge, wo sie erfrieren sollen. Die Strategie besteht darin, die Menschen nicht direkt umzubringen, sondern sie auszuhungern. Deshalb ist auch die diesjährige Ernte zerstört worden.

Wenn Leute verhungern, gibt es keinen direkt Verantwortlichen?

Genau. Bei den Kämpfen werden, so wie anderswo auch, mehr Frauen und Kinder verwundet als Kämpfende und Männer. Es werden aber insgesamt weniger Menschen als in Bosnien-Herzegowina direkt getötet. Es sieht auch so aus, als ob gezielt medizinisches Personal ausgeschaltet wird. Dabei scheinen Gynäkologen besonders betroffen zu sein. Wenn man das kosovo-albanische Personal ausschaltet, schadet man der gesamten weiblichen Bevölkerung.

Woher haben Sie diese Informationen?

Mir haben kosovo-albanische Ärzte persönlich berichtet, daß sie bedroht und daß Kollegen ermordet wurden. Diese Fälle sind dokumentiert. Offensichtlich gelten Ärzte bei den Serben generell als Kollaborateure. Den Eindruck, daß medizinische Einrichtungen, ihr Personal und besonders Gynäkologen ein bevorzugtes Ziel sind, haben mir auch zwei überlebende Mitglieder des Teams vom Internationalen Roten Kreuz bestätigt, das am 30. September auf eine Mine gefahren ist.

Steht hinter der Strategie, die Menschen nicht direkt zu töten, die Absicht, keine Beweise für Anklagen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu schaffen?

Das kann gut sein. Zum Beispiel gibt es wenige Berichte über Vergewaltigungen. Uns erzählen Flüchtlinge aber immer wieder, daß bei Überfällen Frauen weggeführt wurden und nicht wieder aufgetaucht sind. Das hat mir auch ein aus dem Kosovo geflohener Arzt erzählt. Wir haben den Eindruck, als ob Vergewaltigungen Teil der Strategie des Angriffs sind, aber daß es wenige überlebende Frauen gibt.

Auch für Vergewaltigungen soll es keine Zeuginnen geben?

Der Krieg soll in der Wahrnehmung immer an der Schwelle von Scharmützeln oder einem Bürgerkrieg bleiben. Wenn klar würde, daß sich die Offensiven auch massiv gegen Frauen richten, gäbe es einen internationalen Aufschrei. Die Regierung in Belgrad hat sich als lernfähig erwiesen, sie hat die Strategien seit dem letzten Balkankrieg verfeinert und achtet sehr darauf, daß nur wenig über Frauen berichtet wird.

Würden Sie sich für eine Intervention durch die Nato aussprechen?

Nicht, wenn man nicht weiß, was danach passiert. Ich fände eine international abgesicherte Anklage gegen Milošević richtig. Man sollte nicht mehr mit ihm verhandeln und ein Embargo verhängen, das an den Grenzen kontrolliert wird. Auch notorische Kriegsverbrecher in Bosnien und Kroatien wie Arkan, Šešelj und Dragan sollten angeklagt werden. Die sind im Kosovo wieder im Einsatz und garantieren die Kontinuität zwischen dem Krieg in Bosnien und Kroatien und dem, was heute im Kosovo geschieht. Interview: Karin Gabbert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen