Von der „Schuld“, sich selbst definieren zu wollen: Susan Muskas und Gréta Olafsdóttirs subtiler Dokumentarfilm „The Brandon Teena Story“ rekonstruiert einen historischen Mordfall in Nebraska

„He was a girl. I mean, she was a boy.“ Der Sheriff von Falls City, Nebraska, hat offensichtlich Zuschreibungsschwierigkeiten. Damit ist er nicht der einzige in der ländlichen Kleinstadt, und wie The Brandon Teena Story zeigt, hat das nicht wenig damit zu tun, daß und wie Brandon Teena respektive Tina Brandon an Silvester 1993 ermordet wurde.

Susan Muskas und Gréta Olafsdóttirs erster Dokumenatarfilm rekonstruiert und kommentiert die Ereignisse von Falls City. Die Produktion, die jetzt im Rahmen der Lesbisch-Schwulen Filmtage in Hamnburg läuft, ist selbstfinanziert und wurde auf High 8. Beta sowie Super 8 gedreht. Es geht um Begegnungen, Selbstdarstellungen und Gespräche, bei denen nicht nur die Familie und Freunde von Brandon/Tina zu Wort kommen, sondern auch die Mörder, deren Angehörige und die Polizei, die sich – wenngleich mitverantwortlich – keiner Schuld bewußt ist.

Chronologisch erzählt The Brandon Teena Story auf diese Weise, wie ein fremder junger Mann, Brandon Teena, in der Gemeinde von Falls City mit jungenhaftem Charme Freunde und ebenso rasch Freundinnen gewinnt. Er ist beliebt. Ex-Freundinnen beschreiben ihn als „tollen Küsser“ und „Supertyp“. Nur wenige Wochen später wird er sterben müssen, weil Gender-Debatten in Falls City in der Regel nur auf eine Art geführt werden: „Wenn Gott gewollt hätte, daß es Schwule gibt, dann hätte er keine Frauen erschaffen“, diktiert ein junger Mann in die Kamera.

Hier, wenigstens hier, ist ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau. Eine tödliche Gewißheit – als Brandons „Identität“ bekannt wird, vergewaltigen ihn zwei seiner Freunde, schlagen ihn zusammen und ermorden ihn eine Woche später. Um keine Zeugen zu hinterlassen, müssen auch zwei Menschen sterben, bei denen Brandon Hilfe gefunden hatte. Wie Brandon/Tina wird dabei auch The Brandon Teena Story selbst Teil einer Gesellschaft, zu deren Funktionsweisen in erster Linie Gewalt gehört.

Der Film entstand durch eine dreijährige Arbeit der beiden Regisseurinnen, die nicht zuletzt darin bestand, eine persönliche Beziehung zu den Menschen von Falls City aufzubauen. In dieser ständig spürbaren Nähe zu den Personen, die unterschiedlichste Rollen bei der Ermordung gespielt haben, liegt die Kraft dieses Films. Über sie wird erst das ganze Ausmaß der „Schuld“ sichtbar, sich selbst zu definieren. Für alle die jedenfalls, die Diskussionen um Repräsentationsmuster und geschlechtliche Rollenzuschreibungen (gerade im Kino) für überholt oder unnötig halten, dürfte die Brandon Teena Story fühlbaren Anlaß zum Umdenken geben.

Jan Distelmeyer

heute, 13 Uhr, Metropolis