: „Im Geist der Gewaltlosigkeit“
Der Dalai Lama kommt nach Hamburg. Ab Montag will er in einer Zeltstadt in der Lüneburger Heide 9000 Menschen den buddhistischen Weg zum Glück weisen. Eine buddhistische Meditation besuchte schon einmal vorab ■ Karin Flothmann
Weiße Gladiolen schmücken
das alte Klavier an der Wand. Daneben das Bild des Buddhas, kleine Schalen mit Opfergaben, eine Kerze. Ein junger Mönch in rot-orangenem Gewand betritt die kleine Kapelle des ehemaligen Rot-Kreuz-Krankenhauses beim Schlump. „Wer sich verneigen möchte, kann das tun.“ Der Mönch geht auf die Knie, sein Oberkörper gleitet dreimal zu Boden. Einige der 30 KapellenbesucherInnen machen es wie er. Andere bleiben gleich auf dem Teppichboden sitzen, rutschen auf den keilförmigen Kissen hin und her. Eine junge Frau verknotet ihre Beine zum perfekten Lotussitz. Der 50jährige schräg vor ihr winkelt nur das linke Bein an, das rechte Knie ragt hoch in die Luft.
In Reinsehlen ist die
Lüneburger Heide nicht sonderlich romantisch. Eine fahlgelbe Grassteppe breitet sich bis zu einem von krüppeligen Kiefern bestandenen Horizont aus . Zertrümmerte Mauern und einige Nissenhütten aus Wellblech erinnern daran, daß hier noch bis vor kurzem Panzer rollten und die britische Rheinarmee den Krieg übte. Seit einigen Wochen jedoch weht die tibetische Fahne über dem einstigen Stabsgebäude der Briten. Kurzgeschorene Nonnen und Mönche in roten Gewändern laufen geschäftig hin und her. Das ehemalige Militärcamp verwandelt sich Stück für Stück in eine gigantische Zeltstadt, so groß wie zwei Fußballfelder.
In der kleinen Kapelle
wird inzwischen gebetet. „Mögen in den Ländern der weiten Welt und hier in diesem Land keine Krankheiten, Hungersnöte und Kriege entstehen.“ Der Mönch rezitiert ein Mantra und wiederholt ein ums andere Mal einige tibetische Worte, exotischer Sprechgesang füllt den Raum wie eine Melodie. Die Vorbereitungen sind getroffen. Nun kann die eigentliche Meditation beginnen. Der Mönch sucht seinen Gong, findet ihn und schlägt ihn mit der Hand. Ein scheppernd metallischer Klang ertönt. Der Mönch kichert.
Wenn er nicht gerade
eine Meditation in der Kapelle beim Schlump leitet, gehört Oliver Petersen zu den rund hundert Helfern in Reinsehlen, die sich auf den Besuch des Dalai Lama vorbereiten. Am Montag wird das geistige und weltliche Oberhaupt der Tibeter in der Zeltstadt erwartet. Eine Woche lang will er interessierten Buddhisten und Nicht-Buddhisten eine Einführung in die tibetische Religion geben. Meditationen spielen dabei eine große Rolle. Mit ihrer Hilfe sollen „positive Geisteszustände“ wie Toleranz und Mitgefühl entwickelt werden. „Bud-dhas Weg zum Glück“ nennt sich die Veranstaltung. Rund 9000 Menschen aus ganz Europa, den USA und Kanada haben sich bisher angemeldet. „Das wird zugleich so eine Art Kirchentag“, meint Petersen.
Die Augen des Mönchs
sind geschlossen und zucken doch mit jedem Lidschlag. „Spüren Sie Ihren Körper. Spüren Sie Ihren Atem, wie er durch die Nasenlöcher ein- und auszieht.“ Im Rücken, dem der Schneidersitz auf bloßem Fußboden mißhagt, macht sich ein leichter Schmerz breit. Er zieht durch die Lendenwirbel, bleibt im Rückgrat stecken. Draußen fegt der Wind durch die Bäume. „Lassen Sie Ihre Gedanken kommen und gehen“, sagt der Mönch. „Schauen Sie ihnen zu, wie ein Beobachter.“ Die Journalistin unter den Kapellenbesuchern fühlt sich ertappt. Sitzt sie hier nicht eh, um zu beobachten? Und nun soll sie beobachten, wie sie beobachtet? Ist das Meditation?
„Auch“, würde ein Buddhist
wohl sagen, „aber nur der Anfang.“ Wenn der Dalai Lama in der Lüneburger Heide mit Hilfe praktischer Übungen die Vielfalt buddhistischer Meditationen vorstellt, werden seine Vorträge aus dem Tibetischen ins Deutsche und in andere Sprachen übersetzt. Eingeladen wurde der inzwischen 63jährige Friedensnobelpreisträger vom Tibetischen Zentrum in Hamburg, dessen Schirmherr der Dalai Lama seit bald 20 Jahren ist. Selbstgestecktes Ziel des Zentrums ist es, „im Geist der Gewaltlosigkeit für mehr Harmonie und Toleranz in der Gesellschaft zu wirken“. Hier, in Rahlstedt, lebt auch Oliver Petersen seit 15 Jahren, zusammen mit fünf Nonnen und zwei weiteren buddhistischen Mönchen.
Meditation ist auch Inhalt.
„Schon wenn wir geboren werden, ist klar, wir werden sterben“, sagt der Mönch. Der Tod ist jedem gewiß, egal ob reich oder arm. „Eigentlich ist der Tod sehr demokratisch.“ Eine Frau lacht. Draußen rascheln Blätter. „Niemand weiß, wann er stirbt“, sagt der Mönch. „Doch wer macht sich das in seinem Alltagstrott schon bewußt?“ Sein Anliegen ist es, den Tod als Antrieb zu begreifen. Als Anstoß dafür, sich auf die Suche nach Sinn zu begeben, nach „Religion, Dharma, Spiritualität“. Bewußter leben – mit dem Tod vor Augen.
Der Tod spielt auch im
Meditationszyklus „Lamrim“, dem „Stufenweg der Erleuchtung“, in den der Dalai Lama einführen wird, eine zentrale Rolle. Das Leben wird von Buddha als vergänglich angesehen. Der Buddhismus zählt zu einer der ältesten Weltreligionen der Menschheit und ist geprägt von tiefem Humanismus. In seinem Mittelpunkt steht die Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Wohlergehen und das soziale Leben. Toleranz gegenüber anderen Weltanschauungen zählt dazu ebenso wie die Solidarität mit allen lebenden Wesen. Dem entspricht eine maßvolle Lebensweise bei geistiger Klarheit, die durch Meditation und Analyse erreicht werden soll. Schätzungsweise 100.000 Menschen in Deutschland haben sich als bekennende Buddhisten diesem Leben verschrieben.
Nach mehreren scheppernden
Versuchen ertönt der Gong nun voll und rund. Der Mönch lacht erfreut. „Das war der Hauptgang“, sagt er. „Eine Meditation ist wie ein gutes Essen, da kommt erst die leichte Suppe, und zu guter Letzt darf's auch noch ein Aperitif sein.“ Der kommt in Gestalt eines Gebets daher: „Mögen durch die Kraft dieser Bemühungen alle Wesen von zerstörerischem Tun und Denken ablassen und in Freundschaft, Liebe, Mitgefühl und Harmonie zusammenleben.“ Der linke Fuß hört nicht mehr zu. Er, der die ganze Zeit über auf dem rechten Oberschenkel ruhte, ist eingeschlafen.
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