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Verschleppt ins Lager Kokerida

■ Sie waren keine 20, als die Deutschen sie zur Arbeit in Bremen zwangen: 53 Jahre nach Kriegsende bitten Überlebende aus Osteuropa höflich um Hilfe

Überlebende aus Osteuropa um Hilfe

ie deutschen Häscher verbrannten ihre Dörfer, ergriffen sie auf den Straßen oder auf den Feldern, pferchten sie in Viehwaggons und brachten sie zum Arbeitseinsatz nach Deutschland: So begann für viele Millionen Menschen, darunter besonders viele blutjunge Mädchen aus Osteuropa, während des Zweiten Weltkrieges die Fron für den Feind.

Ohne den systematischen Einsatz von Zwangsarbeitern aus westlichen Ländern, Polen und der Sowjetunion wäre die Kriegswirtschaft in Deutschland zusammengebrochen, denn die Männer kämpften an der Front. 75.000 ZwangsarbeiterInnen waren nach Schätzungen der Historiker allein in Bremen beschäftigt. Und keineswegs nur in den großen Industriebetrieben, bei Klöckner, Borgward oder den Flugzeugwerken von Focke-Wulf. Die Reichsbahn und die Stadtverwaltung ließen Zwangsarbeiter Gleise flicken und Ruinen wegschaffen. Auch in Bremen wurden viele Arbeiter den Bauern zugeteilt, wie überhaupt die Mehrzahl der rund 10 Millionen Zwangsarbeiter in Deutschland nicht in Fabrikhallen, sondern auf den Feldern für den Endsieg schuften mußten. Aber auch bei Handwerkern, in kleinen Gewerbebetrieben und in Privathaushalten füllten die Fremdarbeiter Lücken.

Besonders für RussInnen und UkrainerInnen war der Treck eine Irrfahrt. Viele konnten nur kyrillische Buchstaben lesen und wußten folglich nicht einmal im Ansatz, wo sie sich befanden. All das, woran sich die Überlebenden 53 Jahre nach Kriegsende erinnerten, haben sie nur gehört. So sprechen viele vom Lager „Kokerida“, wenn sie das Russenlager in Bremen-Huckelriede meinen, wo ArbeiterInnen der Flugzeugwerke Focke-Wulf lebten, einem DASA-Vorläufer.

Diese babylonische Sprachverwirrung macht es heutzutage schwierig, aus den Schilderungen der alten Leute den genauen Verlauf ihrer Odyssee nachzuvollziehen. Die meisten Überlebenenden erinnern sich nurmehr an ihre Meister und Vorarbeiter, an die Straßen, die vom Lager zum Arbeitsplatz führten, an Schläger unter den Wachleuten oder an die Kleidung, die sie tragen mußten.

Diese Einzelheiten beschreiben Überlebende in Briefen, die sie mit der Bitte um Hilfe nach Deutschland schicken. Allein 150 haben im laufenden Jahr den Leiter des Bremer Staatsarchivs, Hartmut Müller, erreicht. Nicht alle der alten Leute waren tatsächlich während der Nazi-Zeit in Bremen. Aber nachdem es sich in Kreisen der ehemaligen Zwangsarbeiter in Polen, der Ukraine und den baltischen Staaten herumgesprochen hat, daß in Bremen solche Schreiben auch beantwortet werden und daß gelegentlich – wenn jemand wie jüngst das Rote Kreuz einen Geldbetrag spendet – eine kleine humanitäre Hilfe in Form eines 100-Mark-Scheins beigelegt wird, wenden sich auch andere an die Bremer Dienststelle.

Dabei ist der Tenor der Briefe alles andere als fordernd. Die meisten HIlfesuchenden sind krank, ihre schmalen Renten reichen kaum zum Überleben, geschweige denn für teure Medikamente. So bitten sie bescheiden in Deutschland um Hilfe. Und sie bitten um Nachweise dafür, daß sie tatsächlich in Deutschland gearbeitet haben. Diese Bescheinigung brauchen sie um diese Zeit in ihren Ländern auf die Rente angerechnet zu bekommen.

Im Laufe der vergangenen Jahre haben die Bremer ihre Strategie geändert. Zunächst sei man noch sehr „korrekt“ gewesen, sagt Staatsarchiv-Leiter Müller. Wenn man früher keinen schriftlichen Beleg für einen Aufenthalt in Bremen finden konnte, habe man die Zwangsarbeit auch nicht bescheinigt. Heute sei man großzügiger: Jeder, der eine einigermaßen glaubhafte Schilderung liefert, bekommt die gewünschten Nachweise und wenn möglich humanitäre Hilfe

Viele Überlebende senden eine Bescheinigung des KGB mit: Der gefürchtete sowjetische Geheimdienst ist oft die einzige offizielle Stelle, die Zwangsarbeit bestätigt hat. Die Heimkehr nach der Befreiung geriet dabei für viele zum neuen Leidenskapitel: In der Sowjetunion wurden besonders die baltischen und ukrainischen „OstarbeiterInnen“ argwöhnisch beäugt und der Kollaboration mit den Faschisten bezichtigt. Viele wurden gleich nach Sibirien weiterdeportiert.Joachim Fahrun

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