: Das Ungeheuer von Loch Bremen
■ Im Naturschutzgebiet Borgfelder Wümmewiesen leben wundersame Kreaturen: Enten pfeifen und Schnecken & Fischotter sumpfen
Hart hinter dem Gelände der Bremer Uni bricht die Stadt ab. Hier, knapp zwanzig Rad-Minuten vom Roland entfernt, beginnt die Prärie. Hier beginnt, was bauwütige „Es-geht voran“-Politiker am wenigsten ertragen können: Einsamkeit, Ruhe und – handgemachte Natur.
Die Borgfelder Wümmewiesen sind ein wertvolles Naturschutzgebiet von internationaler Bedeutung. Warum? Weil es Millionen gekostet hat, aus einer landwirtschaftlich genutzten Einöde einen bunten Wassergarten zu zaubern. Weil sich hier außer Kühen und Schmeißfliegen auch andere Lebewesen fortpflanzen. Weil – ach weil es hier einfach schön ist. Allerdings: Ohne politische Brechstange war diese zusammenhängende Naturlandschaft nicht zu haben. Ohne aktive BürgerInnen und Umweltorganisationen wären die Wümmewiesen heute Planungsmasse für Gewerbeparks und deren Zufahrtstraßen. „Wir wollten etwas für die Natur und die BremerInnen tun“, beschreibt Gunnar Oertel vom WWF den Umbau einer gülleverseuchten, flurbereinigten landwirtschaftlichen Nutzfläche mit kanalisierter Hochdruckwasserröhre in belebtes Feuchtgrünland. Jetzt sind die Arbeiten weitgehend abgeschlossen und – es blüht schon wieder.
Zu Fuß, per Fahrrad oder im Kanu kann man in den Wümmewiesen das pflanzliche und tierische Bremen entdecken – auch mit dem WWF. Der bietet hier naturkundliche Führungen an. Sie kennen Forellen, Lachse und Aale nur aus dem Feinkostgeschäft? Für sie ist Hornkraut zerschnetzeltes Plastik? Sie denken bei Kampfläufern an Schwarzenegger? Ach – in den Wümmewiesen läuft die Öko-Live-Show. Man muß nur hingucken.
Vielleicht treffen Sie sogar einen Fischotter. Der ist für Bremen das, was das Ungeheuer von Loch Ness für Schottland ist. Gibt es den Otter oder gibt es ihn nicht? Experten robben auf allen Vieren durch die Uferböschungen und suchen nach Spuren – sprich Kacke – des putzigen Kerlchens. Ernsthafter Hintergrund: Otter sind in Norddeutschland fast ausgestorben. Ihr Vorkommen gilt als Qualitätssiegel. Otter halten sich nur in fischreichem und sauberem Wasser auf. Dies trifft für die Wümme zu. Ihr Wasser ist zwar nicht trinkbar, ist aber nur gering belastet. Das heißt in Deutschland schon sauber.
Kern der Borgfelder Wümmewiesen ist ein knapp drei Kilometer langer Abschnitt der Wümme. Clevere Landkäufe von BUND und WWF eröffneten die Chance, diesen Teil des Flusslaufes seit 1985 umzugestalten. Mit Geld von Bund, Land und Sponsoren wurde bis heute ein ganzer Landstrich renaturiert. Seit 1987 sind 677 Hektar in Borgfeld und Oberneuland Naturschutzgebiet geworden.
„Wir haben hier keinen Urzustand“, sagt Gunnar Oertel, der für den WWF-Bremen das Projekt Wümme-Wiesen betreut. „Aber durch unsere Eingriffe kommt Natur erst wieder zum Zuge.“ Feuchtgrünland ist Kulturland, das heißt von Menschen gemacht. Durch Entwässerung und landwirtschaftliche Nutzung hat es sein typisches Gepräge erhalten. Für die Wümmewiesen bedeutete das bis in die achtziger Jahre die fortschreitende Verödung der Wiesen, die Begradigung und Eindeichung des Flußes, den Schwund des Artenreichtums. In Bremen kam als Besonderheit noch die Weservertiefung und ihr Ausbau als Verkehrsweg erschwerend hinzu. Ebbe und Flut, im Binnenland unbekannt, veränderte in den letzten 90 Jahren die Landschaft völlig. Kannte man beispielsweise an der Schlachte vor hundert Jahren gerade mal eine Wasserstandsveränderung von 30 Zentimetern, so steigt und fällt die Weser an dieser Stelle heute zweimal am Tag um vier Meter. Im Wümmegebiet, vormals von Tiden verschont, schwanken die Wasserstände täglich bis zu einem Meter.
Die Renaturierung versuchte diese Entwicklung zurückzunehmen und neue ökologische Schwerpunkte zu setzen. So entwickeln sich im Zusammenspiel von ungezügeltem Wachsen und gewolltem Eingriff Auenwälder an der Wümme. „Ohne menschliche Eingriffe könnte so ein Biotop nicht ent- und bestehen“, meint Oertel. Planbar ist das Projekt nicht. „Zu jeder Jahreszeit und jedes Jahr entdecken wir neue Anwachsungen, die wir nicht erwartet haben. Die Natur ist voll Überraschungen“, freut sich der WWF-Mann.
Als wichtigste Baumaßnahme des Projektes wurden die vormals durch Holz-oder Steinbarrikaden befestigten Steilböschungen abgeflacht. An machen Stellen wurden Buchten (Kolke) ins Ufer gegraben. Jährlich werden so bei Hochwasser weite Uferflächen überflutet. Flußschleifen sind durch Prallufer verstärkt worden, jetzt bilden sich Sandbänke und Halbinseln. Die wiederum sind Laichplätze für Fische und Brutstätten für Insekten. „In anderen Abschnitten der Wümme finden wir an einem definierten Platz vier bis sechs Insektenlarven einer Art, hier im renaturierten Bereich 36“, sagt Oertel. Libellen sirren und flirren in farbigem Leuchten scharenweise übers Wasser. „Es hat sich schon eine typische Fließgewässerfauna herausgebildet“, beschreibt Oertel das Gefleuche.Die Grüne Keiljungfer, eine äußerst seltene Fließgewässerlibelle, gehört dazu.
Feuchtgrünland ist nach dem aktuellen Forschungsbericht des Naturschutz-Bundesamtes ein besonders gefährdetes Biotop. Von den knapp 80 Kilometern Wümme zwischen Lüneburger Heide und Weser sind nur gut drei Kilometer vom WWF renaturiert. Den bösen Vorwurf, diese schlappen drei Kilometer in Bremen seien ein Öko-Disneyland weist Oertelt zurück: „Wir müssen den Menschen zeigen, daß Naturschutz ihnen nutzt.“ Feuchtgebiete, so das Bundesamt für Naturschutz, sind nicht nur letzte Refugien für vom Aussterben bedrohte Arten; sie haben auch wichtige Funktionen bei der Grundwassererneuerung und beeinflussen unser Klima mäßigend. Für die dortige Landwirtschaft gilt: Qualität statt chemiegedopter Masse.
„Wir arbeiten darauf hin, daß die Bevölkerung unseren Ansatz der Renaturierung akzeptiert“, erklärt Gunnar Oertel. Dann werden die Borgfelder Wümmewiesen vielleicht keine Besonderheit bleiben. Dann wird die Bremer Prärie eines Tages direkt vor dem Rathaus beginnen. Thomas Schumacher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen