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Marketing mit kurzem Gedächtnis

In diesem Sommer preist die Hauptstadtwerbung Berlin als „Offene Stadt“ – obwohl der Begriff in Italien bis heute für die grausame Besatzungspolitik steht, die Wehrmacht und Gestapo in Rom betrieben  ■   Von Ralph Bollmann

Dieses Jahr war einfach ein neuer Name fällig. Mit der „Schaustelle“ hatten die Berlin-Werber der Gesellschaft „Partner für Berlin“ in den vergangenen Jahren das Sommerloch gefüllt – und den Staub und Dreck, der Touristen normalerweise abschreckt, in eine Attraktion verwandelt.

Doch mittlerweile sind, vom Hotel Adlon bis zum Reichstag, viele Projekte fertiggestellt. Als Stadt der Baustellen läßt sich Berlin nicht mehr verkaufen. Kein Wunder also, daß die Strategen des Hauptstadt-Marketings auf einen so allgemeinen wie scheinbar unverfänglichen Slogan verfielen – „Berlin: Offene Stadt“. Vor allem „für Veränderungen und für internationale Begegnungen“ wolle die Stadt „offen“ sein, heißt es in den Erläuterungen.

Mehrsprachig darf sich das auswärtige Publikum im Internet über die „Open City“ oder die „Ville Ouverte“ informieren. Nur auf italienisch werben die Veranstalter vorsichtshalber nicht für die „Città Aperta“. Mit gutem Grund: Unverfänglich ist der Slogan allenfalls für mäßig gebildete Germanen, in italienischen Ohren hingegen weckt der Begriff unangenehme Erinnerungen an die Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.

Obwohl Rom wegen seiner Kunstschätze offiziell zur „offenen“, also entmilitarisierten Stadt erklärt war, wurde sie im September 1943 von deutschen Truppen besetzt, nachdem sich das Königreich Italien auf die Seite der Alliierten geschlagen hatte. Die Versorgungslage der Bevölkerung verschlechterte sich rapide. Vor allem aber verfolgten Wehrmacht und Gestapo mit aller Härte die römischen Antifaschisten. Vor allem der Name des römischen Gestapo-Chefs Herbert Kappler ist den Italienern noch heute in unliebsamer Erinnerung.

Unmittelbar nach dem Einmarsch in Rom begannen die Deutschen auch mit der Deportation der Juden, deren Auslieferung Mussolini zuvor stets verweigert hatte. Von den 2.091 römischen Juden, die in Konzentrationslagern verschwanden, kehrten nur 101 von dort zurück. In der Zeit der deutschen Besatzung vom 11. September 1943 bis zur kampflosen Übergabe an die Alliierten am 4. Juni 1944, schreibt der italienische Historiker Giorgio Candeloro, erlebte Rom „vielleicht die schwierigsten neun Monate seiner langen Geschichte“.

Die Grausamkeit der deutschen Besatzungspolitik unter dem Deckmantel der „Città Aperta“ wird für die Italiener vor allem von einem Ereignis verkörpert: Am 24. März 1944 erschossen die Deutschen in den Ardeatinischen Höhlen vor den Toren Roms 355 Gefangene als Vergeltungsaktion für einen Anschlag italienischer Partisanen, bei dem 33 Deutsche ums Leben gekommen waren.

Vor allem aber erinnert „Berlin: Offene Stadt“ an den Titel jenes Films, mit dem der Regisseur Roberto Rosselini jene Zeit eindrucklich ins Gedächtnis gemeißelt hat: „Roma, città aperta“. Rosselini, der den Film noch während der Besetzung heimlich geplant hatte, erreichte eine Authentizität der Darstellung, die sich sonst nur in Dokumentarfilmen findet. Die Geschichte eines Widerstandskämpfers und eines Priesters, die von der Gestapo verhaftet und hingerichtet werden, wurde einer der Marksteine der Filmgeschichte.

Doch an die deutschen Greueltaten in Italien wollten die „Partner für Berlin“ die Besucher der deutschen Hauptstadt gewiß nicht erinnern. Daß der Begriff „nicht nur positiv konnotiert ist“, sei „durchaus ein Thema“ gewesen, sagt ein Sprecher. Letztlich habe man sich trotzdem für den Slogan entschieden – schließlich stehe er nun „in einem völlig anderen Zusammenhang“. Mit dem Motto „offene Stadt“ solle „kommunziert werden, daß sich Berlin für alle Besucher öffnet“.

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