: Öd und leer das Land
■ Von der Nordseeküste bis zum Alpenrand das gleiche Bild: Tristesse und Leere, soweit des Menschen Auge auch reicht
Betrachtet man die schriftlichen Erzeugnisse der derzeit agierenden Autorengeneration an der Schnittstelle von Literatur und Journalistik, stellt man fest: Es regiert die Ironie. Statt blindwütig zuzuschlagen oder resigniert aufzugeben, offenbart sich der Griff zu wohlfeilen Formulierungen, die erlebte Kränkungen wie allgemeine politische Ratlosigkeit gekonnt zu überdecken vermögen.
Ein geradezu idealtypisches Projekt dieses Vorgehens stellen die gesammelten und schubweise veröffentlichten Stadtkritiken des Autoren- und Herausgeberduos Jürgen Roth/Rayk Wieland dar. Gelang ihnen mit „Öde Orte 1“ eine erste höchstvergnügliche Rundreise durch unsere Lande, setzen sie nun mit „Öde Orte 2“ diesen Weg der Fremd- wie Selbsterkundung konsequent fort.
Auf ihre Einladung hin haben diesmal über 50 Autoren und Autorinnen ihre Beobachtungsgabe und ihren Feinsinn unter Beweis gestellt. Das Gelände ist mittlerweile etwas übersichtlicher geworden, die vorzustellenden Städte und Orte sind daher per se etwas sonderbarer; als da wären Bernburg, Eschwege, Monschau oder Schwalmstadt-Treysa. Lauter Fragezeichen also: Was soll man dort? Warum hat es wen dorthin verschlagen? Wo liegt das überhaupt? Städtebauliche Schandtaten ergänzen sich mit selbst erlebten Jugendsünden, ausschweifende Stadtchroniken und dezidierte Berichte der jeweiligen Lokalpolitik beweisen, daß es überall anderswo besser ist als hier.
Titel wie „Bindet mich fest, Freunde“ (Bremerhaven) oder „Wo sind die Hengste?“ (Marbach) enthüllen das Grundmotiv einer stets scheiternden Flucht. Andere – so „Taubenkotze“ für Recklinghausen oder „Saufen, morden, huren“ für Kulmbach – verzichten sogleich auf umständliche Entschlüsselungen. Die Warnung soll Warnung genug sein.
Der große Nutzen des Bändchens: Der eigene Freundes- und Bekanntenkreis dürfte kraft seiner Herkunft aus all jenen verstreuten Orten in den nächsten Jahre vor Hohn und Spott nicht mehr sicher sein.
Zu einem Text darf besonders geraten werden: Man beginne mit Jörg Schröders Ausflug nach Rinteln. Nicht weil Rinteln an sich als besonders schaurig oder schrecklich oder abseitig aus der Fülle der zu verdammenden Ortschaften herausragt; sondern weil Schröder Rinteln Rinteln sein läßt. Statt dessen gibt er vor dem Hintergrund einer an sich farblosen Stadt eine skurrile Geschichte aus dem Nachkriegsdeutschland wieder. Und das angenehm unprätentiös erzählt, mit viel Liebe den handelnden Personen gegenüber und alles frei von jedem Ironiezwang.
Wolfgang Keil
Jürgen Roth/Rayk Wieland: „Öde Orte 2“. Reclam Leipzig 1999, 315 Seiten, 19,80 DM.
Städtebauliche Schandtaten ergänzen sich mit selbst erlebten Jugendsünden
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