: Ein Märchen von 1001 Macht
Von trotzig bis traurig: Wie sich drei Ex-Herthaner, die auf dem Weg zum Erfolg zurückblieben, vor der Berliner Champions-League-Heimpremiere gegen Chelsea fühlen ■ Von Rüdiger Barth
Hertha BSC im Glück: Die Crème de la Chelsea gibt sich heute in der Champions League die Ehre, kaum zu begreifen. Drei Jahre ist es doch erst her, das Gerackere in der zweiten Liga. Ein „Märchen“ sei dieser Aufstieg in die Elite Europas, schreiben Berlins Boulevardblätter. Ein Märchen, es kann ja gar nicht anders sein. Eines allerdings von 1001 Macht.
Starring: der Dukatenesel Ufa, der den Skandalverein wachküsste; das Flaschenputtel selbst, das die Berliner lange Jahre verachteten. Und, ganz nebenbei, drei Menschen, die an dem Luftschloss mitwoben, bis sie verstoßen wurden. Nennen wir sie, um im Bild zu bleiben: den Zauberlehrling, den Guten Geist, den Eisenmann.
Da ist Manfred Zemaitat, der Präsident, der 1994 die Ufa-Millionen anlockte und sich im September 1998 der Macht des Rechtemaklers beugte. Da ist Evelyn Wussow, die Sekretärin, die im April 1997 nach fast zehn Jahren vor die Tür gesetzt wurde. Und da ist Steffen Karl, der Fußballer, wegen seiner Zweikampfhärte als „Eisen-Karl“ gepriesen, den sie Anfang 1999 für 250.000 Mark zum FC St. Pauli verkauften.
Ihre Geschichte spielt in einer fernen Zeit, in der es noch nicht schick war, einen auf Herthaner zu machen. Wie fühlen sich diese drei, die mitgeholfen haben, eine Rakete zu zünden, und die später wie überflüssiger Ballast abgeworfen wurden?
Mit klopfendem Herzen werde er heute im Olympiastadion sitzen, sagt Manfred Zemaitat (49). Ist der BSC immer noch sein Verein, trotz der Streitereien mit der Ufa? „Ja“, sagt er, „echte Herthaner sind treu. Das ist ein Lebensgefühl.“ Er schwärmt von der Stimmung in der Stadt. Die Leute schnalzen wieder mit der Zunge, sie verziehen nicht mehr das Gesicht. „Wir sind wieder wer.“ Er sagt „wir“, ganz so, als gehöre er noch dazu, als wäre nicht heute ein Ufa-Gesandter, der Automanager Walter Müller, der Präsident.
„Ich vermisse das nicht“, behauptet er. Aber es sei das Gefühl geblieben, „die Macht eines Medienkonzerns eine Idee unterschätzt zu haben“. Zemaitat, der Rechtsanwalt, der mit Immobilienfonds handelt und zum Interview auf einer BMW-Maschine anrollt, ist zwar kein kleiner Leut. Aber der „Manne“ gab sich als Präsident oft volksnah, stand auch mal mit blauweißem Schal in der Fankurve. Und er ist „Alt-Herthaner“, was so etwas wie der Adelstitel der Hartgesottenen ist. „Die Alt-Herthaner“, sagt Zemaitat, „gucken nicht nur auf den Rasen, die sehen das Drumherum, die sind in Sorge.“ Denn es muss am Selbstverständnis nagen, dass Hertha ausgerechnet deswegen Erfolg hat, weil es nicht mehr die Hertha ist, die da wirtschaftet.
Die Gefahr der Übernahme erwartete ja keiner damals, 1994, als Hertha über 10 Millionen Mark Schulden hatte, Ufa die Lizenz rettete und sich dafür 40 Prozent der Marketingerlöse sicherte. Die Zusammenarbeit lief erst prächtig, erzählt Zemaitat. Bis zum „Wattenscheid-Erlebnis“ 1996, als der SG-Stürmer Preetz, ja, der Preetz, am Hertha-Gehäuse vorbeizielte. Von da an, sagt er und senkt verschwörerisch die Stimme, „wurden wir nicht mehr gefragt“.
Immerhin würde er noch immer die Ufa für die investierten 20 Millionen „in den Himmel heben“. Aber nun diskutiere man, wie der Verein statt der 40 Prozent nur noch 20 Prozent der Marketingeinnahmen abtreten müsse. „Wenn die Ufa mit dem Verein verhandelt“, sagt Zemaitat erregt, „verhandelt sie mit ihren eigenen Leuten, weil sie die dort installiert hat. Das ist doch absurd.“ Er redet sich in Rage und sagt dann Dinge, die er lieber nicht zitiert wissen will: Zemaitat, der Zauberlehrling, der die tüchtigen Ufa-Geister nicht mehr losgeworden ist.
Als er zurücktrat, war Evelyn Wussow (50) längst gefeuert. Von 1988 an war sie der Gute Geist der Hertha-Geschäftsstelle, bis zum 20. April 1997, dem Tag der Kündigung. Den „Schock“ habe sie mittlerweile verwunden. Die Rettung des Vereins war der Anfang von ihrem Ende, wenn man so will. „Lieber so rum als andersrum“, sagt sie. Keine Frage, sie blieb trotzdem Hertha-Fan wie die 30 Jahre zuvor. Denn die, die sie am meisten trösteten, waren ihre Freunde aus der Fankurve.
Seit Mai dieses Jahres arbeitet sie nun für den Regionalligisten Union Berlin, den früheren Kultverein der Ostberliner. „Aber mein Herz“, sagt sie, „ist immer noch bei der Hertha.“ Faszination Blau-Weiß. Ein Arbeiterklub, kein Schicki-Treff. „Das hat so was“, sagt Wussow. „Wer Berlin liebt, muss einfach die Hertha lieben, det geht gar nicht anders.“ Eine Liebe wie das Leben. Zur Zeit jauchze alles gen Himmel, sagt sie zum Abschied. „Aber lasst der Truppe bitte ein bisschen Zeit.“
An Steffen Karl, dem Dritten im Bunde, würde das nicht scheitern. Der Eisenmann geht langsam, so wie eben Fußballer gehen, wenn sie nicht auf dem Platz stehen. „Es kann mir keiner erzählen, dass er diesen Erfolg erwartet hat“, sagt Karl, als habe das irgendwer behauptet. Er kam 1995 nach Berlin, zu einer Zeit, als die 5.000 Zuschauer im Olympiastadion Versteck spielten. Karl war der Kopf des Teams, dem 1997 die Rückkehr in die Bundesliga gelang. „Leitwolf“ haben sie ihn genannt, bis er monatelang verletzt war und danach überflüssig.
Reizte es ihn nicht, heute Abend dabei zu sein? „Was wäre, wenn, hat mich nie interessiert“, sagt er. Herthas Erfolge findet er „'ne Riesensache“. Er zeigt kein Zeichen von Melancholie. Und keinen Zorn. Tut das nicht weh: ignoriert zu werden, gerade wenn die Kollegen durchstarten? „Nee“, sagt Karl, „so ist halt der Fußball.“ Seine Familie wohnt noch in Falkensee im Berliner Westen. Trotzdem habe er „einfach eine Luftveränderung gebraucht“.
Eisen-Karl, der Pragmatiker. Im Grunde kein Mann für ein Märchen. Abgeklärt wie er, ein bisschen traurig wie Wussow, trotzig wie Zemaitat: So sind sie, die Gefühle der Verlierer von Hertha. Und die Moral von der Geschicht? Nein, keine Moral heute. Heute kommt Chelsea.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen