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„Man wird zum Ungeheuer“

■ In der Türkei ist ein Buch erschienen, in dem 42 Rekruten ihre Erfahrungen in den Kurdengebieten schildern. Keine politische Proklamation, nur Protokolle. Aber gefährliche

Hier sprechen die, die sonst in der Öffentlichkeit nicht erscheinen. Wenn, dann nur als gefallene Helden

Nennen wir ihn Mehmed 1. Von der türkischen Schwarzmeerküste stammend, wurde er 1991 zum Militärdienst eingezogen. Einsatzort: die Kleinstadt Mus, in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei gelegen. Über seine Erfahrungen berichtet er: „Sie informieren einen nicht über den Ort, an den man geschickt wird. Man fällt in die Häuser ein und durchsucht sie. Wonach? Nach Waffen, nach Dokumenten? Wir suchen natürlich nach etwas Ungesetzlichem, aber was wir genau suchen, wissen wir nicht. Man durchsucht entweder das ganze Dorf oder, wenn jemand angezeigt wurde, nur bestimmte Häuser. Ich werde nie vergessen, weil es so tragisch war: Am Vorabend eines Feiertags sollten wir ein ganzes Dorf durchsuchen. Die Leute hatten Großputz gemacht und alles für den Feiertag vorbereitet. Wir gingen in die Häuser, die Schuhe zogen wir natürlich nicht aus. Wir haben in den persönlichsten Ecken des Hauses gesucht, in den Betten, den Decken, den Schubladen. Die einen suchen vorsichtig, die anderen werfen die Sachen in die Ecke. Das kommt auch von der Psychologie der Soldaten. Man ist völlig unausgeglichen, Freunde sind gestorben. Ich habe so viele Häuser durchsucht, aber außer Jagdgewehren haben wir nichts Bedeutendes gefunden.“

Mehmed 2 stammt aus Istanbul, wurde 1992 eingezogen und machte seinen Militärdienst in Beytüssebab, Kurdenregion an der iranischen Grenze. Über seine Erfahrungen mit der Angst sagt er: „Abends auf dem Posten hatte man Angst. Die Angst macht Magenschmerzen. Einen unerträglichen Schmerz. Noch ein Jahr nach dem Militärdienst hatte ich diese Schmerzen. Wenn es dunkel wurde, fing der Magen an, weh zu tun. Um die Angst zu überwinden, macht man auf dem Posten unsinnige Dinge: Man singt. Wir kauften Playboy und Penthouse und lasen sie, solange es noch Licht gab. Ich wollte an nichts denken, wollte auch nicht schlafen. Wenn man einschläft, stirbt man. Da bringt einer einen Rekruten dorthin: „Halt Wache, wir schlafen“, sagt er. Der Rekrut hat einen Kopfhörer auf und hört aus einem Walkman Musik. Hört natürlich nicht, dass jemand kommt. So haben sie seinen Kopf abgeschnitten. Es wurde Morgen, niemand kam von dem Posten zurück. Wir sind hingegangen, um nachzusehen: Da lagen vier Gefallene mit durchgeschnittenen Kehlen. Ich war froh, dass ich nicht an ihrer Stelle war.“

Mehmed 3, in der Ägäisregion geboren, wurde 1991 nach Viransehir eingezogen, nahe der syrischen Grenze. Er berichtet über die psychischen Folgen des Militärdienstes: „Als ich vom Militärdienst zurückkam, war ich es gewöhnt, Befehle zu geben. Auf der Straße brüllte ich, die Leute wunderten sich. Überall zettelte ich Streit an. Man wird furchtbar nervös. Man wird zu einem ziemlichen Ungeheuer.“

In ihrem Buch „Mehmedin Kitabi“, das im Frühjahr in der Türkei erschien, lässt die türkische Journalistin Nadire Mater 42 ehemalige Rekruten über ihre Zeit beim Militär erzählen. „Das Buch der Mehmeds“ heißt es, weil in der Türkei Soldaten so liebevoll wie gleichmacherisch Mehmed bzw. Mehmetçik, kleiner Mehmed, genannt werden.

Ein ganzer Fächer von unterschiedlichen Einstellungen und von zwiespältigen Gefühlen gegenüber dem Kurdenkonflikt wird in diesem Buch ausgebreitet, gegenüber den Gefahren, die der Einsatz gegen die kurdische PKK für einen einfachen Soldaten bedeutet; es wird eine Mischung wiedergegeben aus Abenteuerlust und eingetrichtertem Nationalismus, aus Skepsis bezüglich einer militärischen Lösung des Konflikts und Forderungen nach härterem Vorgehen.

Es äußern sich Menschen, die mit dem Leben davongekommen sind, wenn auch nicht immer unversehrt. Fast alle haben andere sterben sehen dort im Südosten der Türkei, wohin sie geschickt wurden, wohin die wenigsten wollten. Und auch wenn die Berichte manchmal etwas repetitiv wirken, beleuchten sie doch einen Aspekt des Kurdenkonflikts in der Türkei, der bislang zumeist im Schatten geblieben ist. Sie habe kein politisches Buch schreiben wollen, erklärt die Autorin im Vorwort, und sie enthält sich jeder Stellungnahme zu den Berichten. Dennoch ist das Buch in hohem Maße politisch, denn es macht diejenigen zu Subjekten, die nie um ihre Meinung gebeten werden, die allenfalls als Gefallene geehrt werden.

Am Schicksal dieser Rekruten – und hier muss von Schicksal wahrlich gesprochen werden, denn Wehrdienstverweigerung gibt es in der Türkei nicht – hat sich auch durch den angekündigten Rückzug der Kurdenguerilla PKK aus der Türkei bislang nichts geändert: Die Kämpfe in den Bergen gehen mit unverminderter Härte weiter.

So ist es nicht weiter erstaunlich, dass das Buch kürzlich in der Türkei verboten wurde, wegen Beleidigung der Streitkräfte. An Erfolg hatte es dem Werk nicht gemangelt: Als es verboten wurde, war bereits die vierte Auflage gedruckt. Eine deutsche Übersetzung ist geplant. Antje Bauer

Nadire Mater: „Mehmedin kitabi, Güneydogu'da savasmis askerler anlatiyor“, Istanbul (Metis Yayinlari), 1999

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