■ Zu weit vorgewagt: Joschka Fischers Forderung nach einer Parteireform und einer neuen Führungsspitze gilt vielen Grünen als vernünftig. Sie verzeihen ihm aber nicht, dass die Pläne zuerst in den Medien bekannt wurden: Auch ein Fischer macht Fehler
Das wär doch was. Gunda Röstel und Antje Radcke treten zurück und sagen zu Joschka Fischer: „Mach du es!“ Dann hätte er ein Problem.“ Vor den verschlossenen Türen, hinter denen der Parteirat der Grünen tagt, spielen die Parteireferenten verschiedene Szenarien durch. Alle wissen: So weit wird es nicht kommen. Aber nach dem jüngsten Coup Joschka Fischers sind die Grünen stinksauer auf ihren großen Zampano. Viele würden ihm die Bürde des Parteivorsitzes übertragen wollen, „damit er sich der Verantwortung nicht mehr entziehen kann“.
Viele seiner Parteifreunde dachten, nun sei er verrückt geworden, als sie am Sonnabend von der Spiegel-Meldung hörten, Fischer fordere eine Reform der Parteistrukturen und den Rücktritt des Sprecherduos Gunda Röstel und Antje Radcke. Als Gegenleistung habe er angeboten, sich künftig mehr bei Wahlkämpfen zu engagieren. Bei der gemeinsamen Sitzung am Montagmorgen, auf der eigentlich über Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis in Sachsen geredet werden sollte, beklagten sich die beiden Sprecherinnen bitterlich über Fischers „unsolidarisches Verhalten mitten im Wahlkampf“. Auch die Abgeordneten und Landespolitiker, die etwas später zum Parteirat kamen, schalten Fischers Vorstoß als „kontraproduktiv“. „Klug war das nicht“, sagte die Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast. „Ein Riesenfehler“, pflichtete ihr die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth bei. Alle waren sich einig: Fischers Vorschläge zur Parteireform (Trennung von Amt und Mandat abschaffen, Parteirat verkleinern und eine Wahlkampfzentrale einrichten) seien zwar vernünftig. Aber: „Wenn er so etwas über die Medien lanciert, ist das kontraproduktiv.“
Roth erinnert an den Parteitag in Erfurt im März dieses Jahres. Damals scheiterte Fischer schon einmal mit seinen Reformvorschlägen, weil er sie der Basis von oben verordnen wollte. Das alles müsste Fischer eigentlich gewusst haben. Seine Parteifreunde rätseln, wie ihm, der seine Pappenheimer doch sonst so gut kennt, dieser Fauxpas passieren konnte. Gegenüber den beiden Sprecherinnen rang er sich sogar eine Entschuldigung ab. Und: das mit der Rücktrittsforderung sei eine Erfindung des Spiegel gewesen.
Doch das nimmt ihm niemand ab. Alle wissen, dass Joschka im vertrauten Kreise nichts lieber tut, als über seine Parteifreunde im Allgemeinen und die amtierende Parteispitze im Besonderen zu lästern. Gegenüber Frauen, die nicht gerade Madeleine Albright heißen, nimmt er sich besonders viel heraus. Nun hat er einen Denkzettel erhalten. Es wird für ihn nicht leicht werden, seine WunschkandidatInnen für den Parteivorsitz, die Berliner Fraktionsvorsitzende Renate Künast und den Stuttgarter Fritz Kuhn durchzubringen.
Mit Kuhn hätte er es endlich geschafft, einen mit dem er politisch auf einer Linie liegt, an die Spitze zu bringen. Denn Joschka Fischer möchte zwar nicht Parteivorsitzender werden, aber er will auf diesem Posten jemanden haben, der tut, was Fischer vorschwebt.
Seit vielen Jahren umgibt sich Fischer mit treuen Vasallen. Er weiß es zu schätzen, wenn man ihm nicht wiederspricht, dafür werden seine Freunde (Freundinnen sind es nur wenige) dann auch mit interessanten Posten im Außenministerium oder auf dem internationalen Parkett belohnt. Bislang ist es dem berüchtigten Franfurter Klüngel jedoch nicht gelungen, die Vorstandsposten der Partei zu besetzen. Die als „halblinks“ geltende Berlinerin Renate Künast darf sich zur Zeit der Gunst des großen Zampanos erfreuen. Er wird sie genau dann fallen lassen, wenn es ihm in den Kram passt.
Die Parteistrategen haben nun viel Arbeit vor sich, um den kommenden Parteitag, der wahrscheinlich auf den Januar vorgezogen wird, zu organisieren. Bereits im Vorfeld müssen sie dafür werben, daß die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben wird – sonst wird es für diese Entscheidung nicht die nötige Mehrheit geben.
Joschka Fischer hat angeboten, daß er in Zukunft in den Parteigremien mehr mitarbeiten will. Ihm ist klar geworden, daß der Unmut über den Außenminister, der mit den Niederungen der Parteiarbeit nichts zu tun haben will, zu groß geworden ist. Die Parteiarbeit wird ihn hart angehen, denn Fischer hasst nichts mehr, als langatmige Diskussionen und schwierige Entscheidungsprozesse. Aber die Zeiten, zu denen er sich auf seinem Image als beliebtester deutscher Politiker und erfolgreicher Diplomat ausruhen konnte, sind vorbei.
Tina Stadlmayer, Berlin
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