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Zufriedener „Palazzo“

Neuauflage der Kronzeugendebatte in Italien nach dem Freispruch des Ex-Ministerpräsidenten Andreotti  ■    Aus Rom Werner Raith

Großer Jubel beim Großteil der alten „Democrazia cristiana“, Frohlocken bei allen anderen „Großkopfeten“, gegen die derzeit Strafverfahren laufen, verhaltene Zufriedenheit bei den anderen Parteien: Der Freispruch des siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti am Freitagabend hat dem „Palazzo“, wie Pier Paolo Pasolini das Machtkartell der Parteien in Italien genannt hat, offenbar die Gewissheit zurückgegeben, dass die Politikerkaste endlich wieder so unantastbar ist wie ehedem.

Von einem „Ende des Alptraums“ sprechen ehemalige Vertraute des 79-jährigen Politikers wie Pierferdinando Casini, Chef des Christlich-Demokratischen Zentrums. Auch Oppositionsführer Silvio Berlusconi, ebenso wie einige seiner Mitarbeiter noch in allerlei Strafverfahren verwickelt, sieht „endlich einen gewissen Hoffnungsschimmer für eine gerechtere Justiz“ heraufdämmern. Und selbst politische Gegner Andreottis wie der Vorsitzende der Linksdemokraten, Walter Veltroni, schwelgen in Lob: „Dies ist der Beweis, dass alles Gerede von einer ,Linksradikalität‘ der Justiz Unsinn ist.“

Das eigentlich Überraschende an dem Urteil aus Perugia – dort fand das Verfahren statt, weil ein ehemaliger Staatsanwalt des Distrikts Rom mit angeklagt war – lag jedoch viel weniger im Freispruch Andreottis: Die Beweislage für die Anschuldigung, das als überaus schlitzohrig bekannte Stehaufmännchen der italienischen Politik habe möglicherweise einen ausdrücklichen Befehl für den Mord an dem Journalisten Pecorelli erteilt, war überaus dünn. Überrascht hat vor allem der Freispruch aller anderen Mitangeklagten – auch jener Mafiosi, die von ehemaligen Kumpels unter Anführung zahlreicher Details und Indizien der materiellen Ausführung des Mordes bezichtigt worden waren.

Zwar liegt die Begründung des Freispruchs noch nicht vor – anders als in Deutschland gibt es in Italien bei Verkündung keine mündliche Urteilsbegründung –, doch der Zusatz „wegen erwiesener Unschuld“ bei allen sechs Angeklagten deutet darauf hin, dass das Gericht den zahlreichen „Kronzeugen“ in dieser Sache keinerlei Glauben geschenkt hat.

So steht nun vor allem eine mögliche Revision des Kronzeugengesetzes im Mittelpunkt. Eine „massive Verschärfung der Kriterien zur Zulassung als Kronzeuge“ fordert der Vorsitzende der parlamentarischen Antimafiakommission, Ottaviano Del Turco; und Silvio Berlusconi möchte sie gleich „ganz abschaffen“. Nur wenige besonnene Stimmen, wie Justizminister Oliviero Diliberto, warnen davor, „das Kind mit dem Bad auszuschütten: Die Aussteiger haben eine durch nichts zu ersetzende Rolle in der Aufklärung von Mafiaverbrechen.“

Im Oktober erst werde man sehen, ob die Kronzeugen wirklich für alle Gerichte so unglaubwürdig sind – da wird das Urteil in einem weiteren Verfahren gegen Andreotti gesprochen, diesmal in Palermo und wegen „Bildung einer mafiosen Vereinigung“.

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