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Querspalte

■ Besser leben in der RAF

Wenn man vom Starkstromelektriker zum Starterroristen wird; wenn man drei Jahre lang in Wien untertauchen und leben muss; wenn man in einer WG wohnt, in der es eine Wochenuhr mit Aufräumplan gibt; wenn an der Seite eine Gefährtin weilt, die gern Spitzenvorhänge häkelt und Marmelade einkocht; wenn man jeden Morgen um 6.30 Uhr aufsteht und beim Bäcker Brot vom Vortag kauft, weil Geld kaum vorhanden ist; wenn man sich vormittags durch Museen schlendernd langweilt und als Naturfreund ausgibt; wenn man abends meist vor dem Fernseher sitzt und am liebsten „Der Alte“ oder „Columbo“ guckt; wenn man so klamm ist, dass die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr gefälscht werden müssen, und man dem Hauptmieter drei Monatsmieten schuldig bleibt; wenn man im Hochsommer fluchtbereit beim Ausbaldowern des nächsten Coups doppelte Kleidung trägt; wenn man stets eine geladene Beretta, Kaliber 7.65, mit Schalldämpfergewinde und ausgefräster Seriennummer mit sich führt; wenn man höchstwahrscheinlich bei einem Überfall mit derselben Waffe eine kleine Verkäuferin in einem Supermarkt niederstreckt; wenn man bei einer Kontrolle eine Polizistin mit dem Tod bedroht und beim folgenden Schusswechsel aus zwei Pistolen feuernd einen der Verfolger verletzt, um schließlich auf der Straße ins Jenseits befördert zu werden – dann hat man wie das RAF-Mitglied Horst Meyer kein erbärmlich spießiges Leben als gewalttätiger Strauchdieb geführt und bekommt deshalb völlig zu Unrecht von Sympathisanten eine Todesanzeige unter dem Motto: „Er kämpfte für ein besseres Leben“ nachgeworfen. Abgedruckt am vergangenen Samstag nur in der taz und mit dem feinen Zusatz: „Wir werden seine Lebensfreude nicht vergessen.“ De mortuis nil nisi bene. Über die Toten nur Gutes. Michael Ringel

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