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Die Diskussion in Chile hat sich geändert

■ Seitdem Augusto Pinochet in London festgehalten wird, sind in seiner Heimat die Verbrechen des Diktators zum Thema geworden

Es ist schon fast zur Routine geworden. Fernsehsender stellen einen Übertragungswagen vor der Villa der Pinochet-Stiftung im noblen Vitacura-Viertel im Osten Santiagos ab. Ein weiterer kommt vor das Haus der Organisation der Diktaturopfer im Zentrum der chilenischen Hauptstadt. Und vor dem Regierungspalast lauern Fotografen und Kamerateams auf Regierungsmitglieder, die sich gewöhnlich Zeit lassen, das Spektakel zu kommentieren. In der Nähe der Katholischen Universität parkt die Polizei gleich zwei Wasserwerfer, denn hier werden mit Sicherheit die Studenten demonstrieren. Wenn heute in London das Auslieferungsverfahren gegen Augusto Pinochet beginnt, dann verfolgt ganz Santiago die Ereignisse in der britischen Hauptstadt. Das Fernsehen in Chile ist live mit Sondersendungen dabei. Und die Politiker haben sich schon lange auf das Verfahren vorbereitet.

Der Präsident der Pinochet-Stiftung, Luis Cortes Villa, ist müde. Elf Monate lang kämpft er nun, so scheint es ihm wenigstens, gegen den Rest der Welt: „Viel ist es nicht, was wir von diesem Verfahren erwarten können.“ Trotzdem hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Pinochet eines Tages in Santiago wieder umarmen zu dürfen. Doch das ist im Moment ziemlich weit weg.

Joaquin Lavin weiß nicht so recht, was er von dem Verfahren halten soll. Der Polit-Yuppi ist Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen Unabhängigen Demokratischen Union (UDI), und ihm wird bei den Wahlen im Dezember immerhin eine kleine Chance eingeräumt. Doch Pinochet passt nicht in sein Politikkonzept. Lavin sieht sich eher als modernen Rechten, der alte Pinochet steht aber für repressiven Autoritarismus. Trotzdem kann er das Thema nicht einfach „rechts“ liegen lassen. Denn dann verliert er wichtige Wählerstimmen.

Die bestehende Große Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten ließ nichts unversucht, um Pinochet nach Hause zu holen. Denn sie wollen auch nach den Präsidentschaftswahlen gemeinsam weiter regieren. Mehrfach stand am Londoner Flughafen daher eine Maschine der chilenischen Luftwaffe bereit, um den britischen Patienten auszufliegen. Aber auf sämtliche diplomatischen Vorstöße kam sowohl aus London als auch aus Madrid stets die selbe Antwort. Es handle sich nicht um einen politischen Fall, sondern um einen juristischen. Doch in Santiago bleibt man dabei: Die Festnahme Pinochets in London und ein möglicher Prozess in Madrid verletze die Souveränität des Landes. Pinochet müsse in Chile vor Gericht gestellt werden und nicht in Madrid.

Das allein ist schon ein Fortschritt. Plötzlich wird darüber gesprochen, Pinochet vor Gericht zu stellen. Bis vor elf Monaten, als der Diktator in London unter Hausarrest gestellt wurde, war davon keine Rede. Es war schlicht undenkbar. Danach hat sich die öffentliche Diskussion in Chile verändert. Auf einmal wird darüber geschrieben, dass Pinochet ein Verbrecher ist, auf einmal wird auf der Straße darüber gesprochen, dass es während der Diktatur 3.000 Tote gab.

Und es werden Haftbefehle gegen Generäle ausgestellt. Erst vor zwei Wochen wurde Humberto Gordón, Ex-Chef der Geheimpolizei und Juntamitglied, festgenommen. Ihm wird der Mord an dem Gewerkschaftsführer Tucapel Jiménez im Jahr 1982 zur Last gelegt. Kurz davor traf es Sergio Arellano Stark. Ihm wird vorgeworfen, 72 politische Gefangene im Jahr 1973 ermordet zu haben. Beide Generäle waren in der Hierarchie der Diktatur weit oben. Gordón pflegte persönlichen Kontakt zu Pinochet.

Auch in Chile wird langsam klar: Pinochet ist schuldig. Derzeit laufen 41 Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Diktator. Aber trotz des Stimmungswechsels gibt es Zweifel, ob Pinochet tatsächlich in Santiago vor Gericht gestellt würde. Hugo Fazio, stellvertretender Präsident der Zentralbank unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, der von Pinochet aus dem Amt geputscht wurde, kann sich das nicht vorstellen.

„Pinochet wird nicht in Chile vor Gericht gestellt werden, auch wenn jetzt einige Generäle inhaftiert wurden. Einen Angeklagten Pinochet würden die Militärs nicht zulassen“, sagt Fazio. Für ihn darf Pinochet nicht zurückkommen. „Das wäre ein Triumph der Rechten“, fürchtet er.

Die Pinochet-Gegner sehen die Souveränität Chiles nicht verletzt, wenn der Ex-Diktator in Spanien vor Gericht gestellt wird. „Hier geht es überhaupt nicht um Souveränität“, sagt die ehemalige Präsidentin der Lateinamerikanischen Föderation von Angehörigen von Verschwundenen (FEEFAM). „Chile ist Teil einer internationalen Ordnung, und es ist vollkommen richtig, dass bei Verbrechen gegen die Menschheit die juristischen Instrumente zum Einsatz kommen, die die internationale Gemeinschaft dafür bereitstellt.“ Ingo Malcher, Buenos Aires

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