: Hungerstreik für besseres Essen
■ Seit Donnerstag verweigern rund 150 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien im Pankower DRK-Heim die Nahrung, weil sie nicht mehr selber einkaufen gehen dürfen
Geflügelfleischwurst mit Stärke, Käse-Scheibletten und Heringsfilet-Happen. Im Kühlschrank von Kadria Bayram stapeln sich die eingeschweißten Lebensmittel und Konservendosen. Doch gegessen hat der Kosovo-Albaner davon seit Donnerstag früh nichts mehr. Er hat, wie er sagt, außer Wasser überhaupt nichts mehr zu sich genommen, genauso wie seine Frau Savije, die im dritten Monat schwanger ist. „Wir können das Essen nicht mehr ertragen“, sagt Kadria, der seit acht Jahren in Berlin lebt. Zusammen mit rund 150 weiteren Flüchtlingen – alle aus dem ehemaligen Jugoslawien – verweigern sie seit vier Tagen die Verpflegung, die sie im Heim des Deutschen Roten Kreuzes in der Buchholzer Straße in Pankow, täglich bekommen.
Der Hungerstreik ist der vorläufige Höhepunkt eines monatelangen Protests von Flüchtlingen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz. Die betroffenen Flüchtlinge gelten als „Wirtschaftsflüchtlinge“. Die Sozialämter unterstellen ihnen, dass sie lediglich nach Deutschland eingereist seien, um Sozialhilfe zu beziehen. Die Sanktionen der Bezirksämter sind unterschiedlich. Teils wird das monatliche Taschengeld von maximal 80 Mark gekürzt, teils dürfen die Flüchtlinge nicht mehr im Supermarkt einkaufen und werden stattdessen „vollverpflegt“.
Doch Rinderrouladen mit Kartoffeln oder Spinat mit Soleiern finden bei den meisten Flüchtlingen keinen Anklang. Die deutschen Gerichte widersprechen völlig ihren Essgewohnheiten. Vor allem fühlen sie sich durch das vorgesetzte Essen bevormundet. „Wir wollen selber einkaufen und kochen“, bekräftigt Savije Bayram die Forderung der Hungerstreikenden. Bereits im August protestierten sie mit anderen Flüchtlingen vor der Sozialverwaltung. Ein Gespräch mit der Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) hat es bisher nicht gegeben. Sie will an der bisherigen Regelung festhalten.
„Das Rote Kreuz muss die Verträge aufkündigen“, fordert Inge Lattenkamp von der Antirassistischen Initiative (ARI), die die Flüchtlinge bei ihren Aktionen unterstützt. „Die Flüchtlinge werden durch die Vollverpflegung gedemütigt.“ Seit Juli versorgt das DRK als erster Wohlfahrtsverband die Flüchtlinge in drei Heimen mit warmen und kalten Speisen – obwohl die Organisation immer ein vehementer Gegner des Asylbewerberleistungsgesetzes war. Die Verträge der Heime wären nicht verlängert worden, wenn man nicht in die Vollverpflegung eingewilligt hätte, argumentiert das DRK. Dadurch seien auch Jobs gefährdet gewesen. Flüchtingsinitiativen werfen dem DRK vor, „Dammbrecher“ zu sein.
Der Präsident des DRK Berlin, Klaus Schütz, hat sich jetzt mit einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Bundestagspräsident Wofgang Thierse (SPD) gewandt. Die Vollverpflegung verschärfe die „ohnehin bestehende Ausgrenzung der Flüchtlinge“ und sei eine „unvertretbare Härte“. Schütz, ehemaliger SPD-Bürgermeister von Berlin, fordert, den Flüchtlingen zukünftig wieder Bargeld zu zahlen. „Der Brief ist gut, aber nicht konsequent“, sagt die ARI-Sprecherin Lattenkamp. Das DRK solle aus der Vollverpflegung aussteigen. Julia Naumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen