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Möpse aus Marzipan

Barbie, Sex und Salzstangen – es wird heiß im hohen Norden: „Wollust pur“ verspürte auf der „Erotic World 3000“  ■ Heinz-Günter Hollein

Auswärtige Berichterstatter wurden von ortskundigen Kollegen per Handy zum Eingang Ost der Messehallen ferngeleitet. Selbst aus Lüneburg und Winsen/Luhe waren Medienvertreter und auch einige Vertreterinnen zur „exklusiven, geschlossenen Presse-Preview“ angereist, zu der die „Kenneth-Messen“ geladen hatten. Es galt, über die „Feierlichkeiten“ zu berichten, mit denen die „Erotic World 3000“ gestern in Hamburg eröffnet wurde. Drei Tage „Wollust pur“ verspricht die Info-Mappe – auf einer „einzigartigen, berauschenden Großveranstaltung“ in Sachen Sex.

Die ließ erstmal auf sich warten. Nachdem das Berichterstatterkorps sich am Empfang vorbei und durch einige Herren vom Typ „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ gedrängelt hatte, kreiselte zunächst eine halbe Stunde lang eine Lichtorgel müde über der Disko-Bühne, während sich im Rücken der Betrachter auf einem 52-Zoll-Monitor ein Frauenmund lautlos damit abmühte, einem zwar mächtigen, aber nicht eben erigierten männlichem Glied ein paar Tropfen abzunu-ckeln. Alsbald kamen dann aber die in der Ankündigung versprochenen „jungen, attraktiven Damen“ und boten „Sekt und Knabbereien“ feil. Das regte zumindest die Kollegen mit der SteadyCam zu professionellem Tun an. Vor allem die Mundschenkin mit der freiliegenden Büste war ein gern genommenes Motiv.

Als nächstes betrat nach mehrminütigen Ennio-Morricone-Klängen ein Conferencier die Bühne, der einen schwarzen Anzug mit goldener Weste und ebensolcher Fliege trug und sagte: „Hallo Hamburg.“ Per, vielleicht auch Peter, so gut waren Aussprache und Akustik nicht, gab umgehend an „die Barbie“ weiter. Die stellte sich erstmal vor und sagte: „Ich bin die Barbie“. Danach kam die Simone und zog sich aus. Danach kam wieder Per und sagte „Ja, Ja, Ja“ und holte wieder die Barbie auf die Bühne, die „Mr. Blond“ ankündigte, der sich dann auch auszog. Das dauerte ziemlich lange und hatte insofern etwas vom in Aussicht gestellten „Erotischen Erdbeben“, als die Bässe der Musikanlage das Brustbein erschütterten.

Die versammelte Presse hielt sich tapfer an Salzstangen und Chips, sprach – „Einen kann ich noch“ – dem reichlich ausgeschenkten Sekt zu und bemühte sich um das ein oder andere Statement der Akteure. Etwa von Ingrid „Komm, nimm mich“ Swede, dem „Pornostar des nächsten Jahrtausends“. Ingrid war durchaus bereit, sich zu äußern, aber auf die Frage „So ju ar, exkjus mei Englisch, se greth Porno-Star fromm Schweden?“ fiel ihr nur ein wenig ergiebiges „Yes“ ein.

Einen gewissen Nachrichtenwert hatten die Darbietungen aber doch. So ist zu vermelden, dass die erotische Frau von heute ihr Tattoo auf dem Bürzelansatz knapp über dem Tanga trägt und Schamhaare aber nun wirklich absolut out sind.

Ein exklusiver Gang durch die Ausstellungsgassen – bevor ab 14 Uhr „das übrige Publikum“ Einlass erhielt – gab den Blick auf passgerechte Brustwarzen-Saugnäpfe und verkaufsfördernd ausgelegte Reihen von Marzipan-Brüstchen frei. Dazu zog ab Viertel nach eins aus dem Restaurant ein anheimelnder Kohlduft in die Halle. Möglicherweise war es dieser Ansturm von Eindrücken und Anregungen, der einen älteren Kollegen zu der Mitteilung verleitete: „Man hat ja auch noch was anderes auf dem Zettel.“ Sprach's, ging und hatte zumindest 40 Mark Eintrittsgeld gespart.

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