: Bunter Hund im Rotlichtviertel
■ Heute wird der Philosoph und venezianische Bürgermeister Massimo Cacciari im Rathaus mit dem Hannah Arendt-Preis ausgezeichnet. Ein Porträt
Bürgermeister müssen gute Laune verbreiten. Im krisengebeutelten Bremen weiß man das nur zu gut, lächelt doch das amtierende Stadtoberhaupt seit Jahren jedes Problem, und sei es noch so gewaltig, professionell aus dem Weg. Auch Massimo Cacciari ist Bürgermeis-ter. Und Venedig, jene Stadt, wo Cacciari seit 1993 im Amt ist, muss sich hinter Bremens Problemen wahrlich nicht verstecken. Alljährlich versinkt die Lagunenstadt im Hochwasser, das stinkende Kanäle und verfallene Gebäude überschwemmt. Seit den 60-er Jahren haben über 70.000 BewohnerInnen der maroden Altstadt den Rücken gekehrt; Venedig droht die Verwandlung in ein museales Disneyland, wo allenfalls die alljährlich einströmenden zwölf Millionen TouristInnen noch den Schein von Lebendigkeit aufrecht erhalten. Doch die Image-Kampagne, mit der Cacciari im Sommer diesen Problemen Venedigs zu begegnen suchte, verbreitet alles andere als gute Laune.
Zugemüllte Kanäle, scheißende Taubenschwärme, superkitschige Plastiksouvenirs und Speisekarten vom Markusplatz mit den astronomischen Preisen, die dort für einen schnöden Cappuccino zu bezahlen sind, zierten die Plakate, mit denen Cacciari für Venedig warb. In Interviews bekannte er außerdem, das Ziel dieser Kampagne sei, so viele TagesausflüglerInnen wie möglich zu vergraulen. Und er wolle jene BesucherInnen locken, die um die Probleme der Stadt mit dem Tourismus wüssten.
Nicht nur aufgrund solcher Massnahmen eilt Cacciari der Ruf eines unkonventionellen Kopfes voraus. Auch sein biographischer Hintergrund ist alles andere als typisch für eine Politikerkarriere. 1944 in Venedig geboren, gründete Cacciari bereits als 18-Jähriger seine eigene Literaturzeitschrift. Nach dem Studium der Philosophie entwickelte er sich schnell zu einem der wichtigsten Vordenker des Arbeiterkampfes und zum Protagonisten der kulturellen und politischen Debatte in Italien. 1976 zog er als Abgeordneter der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) ins römische Parlament ein. Zeitgleich wurde er am venezianischen Istituto Universitario di Architettura auf den Lehrstuhl für Ästhetik berufen, wo er bis heute Vorlesungen abhält.
1987 zog sich Cacciari aus der Parlamentsarbeit zurück. Die Trauer seiner Partei hielt sich in überschaubaren Grenzen. Zu oft hatte der Philosophieprofessor Debatten über das Selbstverständnis der Linken angezettelt und dabei kaum ein Tabu innerhalb der orthodoxen politischen Weltanschauung seiner Partei unberührt gelassen. Zum Entsetzen alter Partisanen und Linksideologen suchte Cacciari den Dialog mit den italienischen Rechtsintellektuellen. Und erinnerte daran, dass die Kritik moderner rechter und linker AutorInnen an Staat und Gesellschaft ihre gemeinsame Wurzel häufig in den Schriften Schopenhauers, Nietzsches oder Carl Schmitts hat.
Den linken Parteifreunden empfahl er die Lektüre des von ihm verehrten Ernst Jünger, geißelte unentwegt das kommunistische Credo des proletarischen revolutionären Subjekts als ideologische Chimäre und vergrätzte schließlich auch den atheistischen Flügel mit einfühlsamen Büchern über christliche Ikonen und das Judentum. Cacciari ist ein postmoderner Denker par excellence, der aber im Gegensatz zu vielen Postmodernen nicht darauf verzichten mag, sich nach wie vor als linker Denker zu verstehen.
Mit einem ausgeprägten Gespür für den Tabubruch streitet er gegen traditionelle Weltanschauungen, reklamiert ohne Berührungsängste konservative Denker wie Tocqueville, Carl Schmitt oder Heidegger als Inspirationsquellen für sich und beharrt darauf, dass all diese Debatten gerade nicht das Ende der politischen Linken einläuten, sondern unverzichtbarer Bestandteil der Reformulierung eines modernen linken Politikverständnisses sind.
Auch in seinem lokalpolitischen Engagement gibt sich Venedigs roter Doge unkonventionell. Im Sinne des Kommunitarismus analysiert Massimo Cacciari die Krise der Demokratie nicht primär als Institutionenkrise, sondern als Ausdruck eines Verlustes solidarischer Prinzipien in Folge einer unguten Entortungsstrategie der Moderne insgesamt. Diese Prinzipien aber können sich nicht entfalten, wenn der Staat sich zum bloßen Agenten globalökonomischer Rationalität macht und dabei die Verankerung des Gemeinschaftssinns in funktionierenden lokalen Strukturen vernachlässigt. Deutlichster Ausdruck dieser Analyse ist die von Cacciari maßgeblich forcierte, politisch bis weit ins rechte Lager hineinreichende Bewegung „Partei der Bürgermeister“. Sie tritt ebenso wie die seperatistische Lega Nord für eine starke Regionalisierung der Macht in Italien ein, hält aber im Gegensatz zur Lega am Nationalstaat fest.
Cacciaris Visionen für ein Europa des 21. Jahrhunderts übersetzen diese lokal gewonnenen Einsichten auf die nächsthöhere Ebene. In Analogie zu einem Archipel müsse Europa , schreibt Cacciari in jüngst veröffentlichten Schriften, ein Zusammenschluss souveräner Staaten sein, das den kulturellen Reichtum der Einzelnen schützt und nicht zu Gunsten der ökonomischen Stabilität einem nihilistischen Zentralismus frönt. Cacciaris Votum für den Föderalismus ist ein uneingeschränktes Bekenntnis zur disharmonischen Vielfalt und zur Anerkennung des Fremden.
In Radikalisierung des dialektischen Weltzugriffs schwebt Cacciari schon seit langem eine polyphone Gleichzeitigkeit verschiedenster Lebenswelten vor, die niemanden zur Aufgabe seiner Identität zwingt und sich dennoch von der zarten Hoffnung auf eine Einheit innerhalb dieser Vielheit getragen weiß. Cacciari plädiert also nicht für ein selbstgefälliges Nomadentum, sondern skizziert eine Idee von städtischer Wirklichkeit, in der die Stadt zum Biotop der Vielfalt mutiert. Hier, in diesen kleinen Einheiten, wird Solidarität praktisch erfahrbar. Auch wenn sie sich ihrerseits im modernen Zeitalter kaum noch auf vorgefundene Größen gründen kann. Das kulturelle Erbe einer Stadt ist für ihn dabei die wertvollste Ressource, um Bürgersinn gedeihen zu lassen. Deshalb kämpft Venedigs Verwaltung unter ihrem Philosophen-Bürgermeister gegen spektakuläre Projekte wie Weltausstellungen, Großbauprojekte und Eventkultur. Statt dessen investiert sie bevorzugt in Bildung, den Erhalt historischer Bausubstanz und die Schaffung von Think-Tanks, wo WissenschaftlerInnen aller Disziplinen Visionen für das nächste Jahrhundert entwickeln. Auf dass, wie Cacciari träumt, Venedig sich zur Hauptstadt des Immateriellen“ und zur Keimzelle eines neuen mittelständischen Unternehmertums erhebt. Hört hört, Ihr BremerInnen!
Franco Zotta
Heute um 18 Uhr bekommt Massimo Cacciari den Hannah Arendt- Preis für politisches Denken im Bremer Rathaus verliehen. Die Laudationes halten Otto Kallscheuer und Wilfried Maier. Von 14-17.30 Uhr wird Cacciari im Kaminzimmer einen Vortrag zum Thema „Venedig, Europa und der Westen“ halten und anschließend mit Antonia Grunenberg, Zdzislaw Krasnodebski, Angelo Bolaffi und Zoltan Szankay diskutieren.
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