: Distanz zur Familie
Die Verhaftung von Pawel Borodin könnte der Versuch von Russlands Präsident sein, sich vom Jelzin-Clan zu lösen
MOSKAU taz ■ Als Pawel Borodin letzte Woche in den USA festgenommen wurde, schäumte das russische Establishment. Was konnte das anderes sein als eine Kriegserklärung des Weißen Hauses? Duma und Außenministerium forderten die sofortige Freilassung des Staatssekretärs der russisch-weißrussischen Union. Und Wladimir Putins Politikberater Gleb Pawlowski sprach vom Versuch, Russlands „innenpolitische Stabilität“ zu untergraben. Aus dem früheren Vermögensverwalter des Kremls, Borodin, war über Nacht ein Volksheld geworden. Ein vorbildlicher Patriot, der dem feindlichen Geheimdienst ins Netz gegangen war.
Eine Woche später: Russlands Premier Michail Kassjanow ernennt Igor Seliwanow zum kommissarischen Leiter der Union. „Die Dienstreise des Staatssekretärs Borodin in die USA war am Montag offiziell beendet“, erklären Mitarbeiter des Unionsgebildes. In New York hatten Borodins Anwälte anders argumentiert. Der Staatssekretär sei für die Weiterführung der Unionsgeschäfte unentbehrlich. Sieht der Kreml es nun anders? Auch Generalstaatsanwalt Ustinow, der den Fall Borodin im Herbst zu den Akten legte, meldete sich: Kommen aus der Schweiz neue Beweise, könnte der Casus wieder aufgerollt werden.
Der Kreml hat Borodin nicht aufgegeben. Aber er hat auch nicht alle Register gezogen, um den Staatssekretär aus seiner misslichen Lage zu befreien. Gerüchte, Borodin sei im Kreml in Ungnade gefallen, kursieren schon länger. Die Prahlerei des Unionschefs, Putin hätte seine Karriere ihm zu verdanken, soll den Kremlpatron gewurmt haben. Seit der Festnahme hat sich Putin denn auch nicht geäußert.
In solch einem Klima gedeihen Spekulationen. Könnte es sich nicht doch um eine konzertierte Aktion des Kremls und der US-Behörden gehandelt haben? Davon ist der Vizedumavorsitzende Jurij Schtschekochitschin überzeugt. So könnte sich Putin elegant der „Familie“ Jelzin und der noch amtierenden Mitstreiter entledigen, die den Exspion in den Sattel gehievt haben.
Einige Schritte Putins vermitteln den Eindruck, als wolle er sich von der alten Mannschaft distanzieren. Kürzlich verabschiedete die Duma ein Immunitätsgesetz, das Möglichkeiten vorsieht, den Präsidenten zur Rechenschaft zu ziehen. Jelzin sind die Hände gebunden. Verteidigt er Borodin, wird dessen Schuld aber bewiesen, gerät die Familie Jelzin in den Sog. Distanziert er sich, wird der Vermögensverwalter singen. Das wird Borodin sowieso, sobald er das Spiel durchschaut. KLAUS-HELGE DONATH
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